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I
Das Wesen des Antisemitismus
von
Dr. Heinrich Graf Coudenhove.
Motto:
Justitia praecipit parcere omnibus» consulere geaeti hominum^ suum cuique redderct sacra» publica, aliena non tangere. Cicero. De Republ. iii. 12.
/
Berlin
Verlag von S. Calvary & Co,
i90i*
J
Alle Rechte vorbehalten.
Einleitung
j*
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Henoch*
Dort endlich taocht der hcissersehntc Brunnen Mit seinem "Wasser, seinem Palmenschmucfc Am Rand der fahlen, gfelben Wüste aofl Dort wollen ruhen wir, die Reiter und Kameele, Von schweren Mühen aus der Tagesgluth. So rief beglückt mein Beduinenführer, Der mich im glücklichen Arabien Auf einem Ritt von Sanaa nach Mareb, Der Ruinenstadt von Saba's Königin, Ein kundig treuer Freund, begleitete» Dort gibt es Wasser, frisches, sprudelndes. Erquickung uns und unseren Kameelen, Und dichten Schatten unter Palmenbäumen, Die uns auch süsse Früchte labend bieten. Ein guter, segensreicher Quell ist dort; Geweiht ist er dem Idris, dem Propheten, Dem grossen Urahn vorsündflutlicher Zeiten* Von ihm, so hört ich neulich in Sana'a^ Spricht auch der Koran, Gottes heil'ges "Wort, Und unser Herr Mohammed, über welchen Friede, Nennt Mann der "Wahrheit, Gottgesandten ihn Und lobet in der Sure Ambiyä Ihn und Arabiens Vater Ismael Ob ihrer gottvertrauenden Geduld.
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Er war auch, wie «ns AI-Baizäwi meldet.
Ein Enkel Seth's, ein Urahn Vater Noe's,
Sein Name kommt von Dars, was Lehren heisst,
Denn hohes "Wissen göttlicher Mysterien
Und dreissig Theile «nsrer heiPgfen Schriften
Vertraut ihm Allah an, der höchste Gott.
Er war der Erste, der die Schrift erfand;
Der Ahnherr ist er jeder Wissenschaft.
Ich weiss es wohl, sprach ich, es ist derselbe.
Den Christen Henoch nennen, sowie Juden,
Von dem das erste Buch des Moses sagt,
Dass er so gut, so fromm, so lieb gewesen,
Dass Gott lebendig ihn zu sich genommen.
Damit den bitt'ren Tod er nimmer koste*
So ist es, sprach der braune Beduine*
Dies sagt Djarir auch, nennt ihn Freund der Engel,
Des Todesengels selbst, der drum ihn niemals
Berühren wollte mit der eisigen Faust*
Dies ist sein Brunnen; sicher ist es hier.
Kein Räuber stört an diesem heil'gen Orte
Des Lagers Ruhe, friedlich zieht der Wand'rer
Auf diesem Wege hin mit Hab und Gut.
Hier lagern oftmals Christen, Juden, Muslims
Vertraut zusammen, und die Leute sagen,
Dass sie bei diesem Brunnen friedlich fühlen.
Als wären Alle Kinder eines Glaubens
Und tief im Herzen umgewandelt worden*
Auch andere Kunde gibt's; sehr fromme Muslims
Erfüllt mit Grausen grade dieser Ort,
Gespenster, sagt man, treten Nachts zum Brunnen,
Sie füllen laut die Luft mit "Wehgeheul,
Bis sie ein grosser, alter Mann verscheucht.
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An dessen Hand ein Ring diamanten leuchtet, Mit solchem Lichte, dass einmal ein Frommer, Der viel Ungfläubigfe erschlug im heil'gen Kriege, Sofort erblindete, als er ihn schaute. "Wir sind in Gottes Hand, sprach ich, er halte Fern weg von uns 6ic Kämpfer heiliger Kriege j Mit den Gespenstern woll'n wir fertig werden« Wir waren bald zur Stelle; die Kameele, Die lange schon das frische Wasser witternd Die Hälse hoben und die Ohren senkten. Mit halb geschlossenen träumerischen Augen Den trägen müden Schritt beschleunigt hatten. Brachten uns trabend fast zum Wüstenbrunnen Und tauchten ihre trockenen, dürren Lippen Vor Wonne schnaufend in das frische Nass. Omar, der Führer, löst 6ic Sattelgurte Und schlägt das Zelt auf, zündet Feuer an Und bringt geschäftig Futter den Kameelen* Fern an dem Rand des weiten Horizontes Senkt sich der glühend rothe Sonnenball Schwerfällig langsam in sein täglich Grab, Entzündend alle Sterne und alle Bergesgipfel, Die fern sich hinziehen an dem Wüstensaume» Nun aber bring uns schnell das Abendmahl, Sprach ich zu Omar, meinem schlanken Führer, Auch dich plagt sicher Hunger, Müdigkeit Und es ist Zeit, dass wir zur Ruhe gehen. Verzeih, o Sähib, spricht Omar, der Führer, Und zeigt mir mit dem braunen, sehnigen Arme Die letzte Spur der untergehenden Sonne, Gebetszeit ist's des Abends, Gott dem Herrn Gehören wir in dieser Feierstunde,
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Erst ihm, dann uns und «ns'fcn kleinen Sorgen
Sonst zürnt Idris, der Herr dieses Gebietes —
Und heute gar, denn wir vergassen gänzlich,
Dass es die heilige Nacht Al-Kadr ist,
„Die Nacht, die mondlos strahlt von eigenem Lichte,
Die Nacht, die besser ist als tausend Monde,
In welcher Allah seine Engel sendet
Und selige Geister, die nur Gutes bringen;
Die Nacht der Macht auf der der Friede ruht
Bis zu dem ersten Strahl der Morgenröthe",
Wie uns der Koran lehrt, das Gotteswort,
So sprach Omar und wandte sich nach Norden
Gen Mekka hin, der heiligsten der Städte,
Und betet fromm zum Herrn der beiden Welten
Die Suren Fatha und Ichläss genannt.
Dann macht er willig an die Arbeit sich
Und schafft das Mahl, das Beide uns erquickt*
So wird es Nacht; hell strahlen alle Sterne,
Giessen ihr Licht auf weite Ebenen,
Erleuchtend hell die Zacken der Gebirge»
Ausruhend von des langen Tages Müh'n
Liegen am Boden schlafend die Kameele,
Die Augen zuf auf ihren breiten Schwielen.
Sie röcheln leise, ausgestreckt die Hälse,
Die Wüstensegler dieser sandigen Meere I
Im Sternenglanze schlafen, stille träumend.
Ein Bund von Palmen, die der Zephir wiegt,
Sie haben treulich ihren Dienst gethan.
Indem den Quell sie vor der Sonne schützten.
Bewachend seine Frische, seine Kühle.
Mich floh der Schlaf, dem Omar schon verfallen.
Gehüllt in seinem Beduinenmantel
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Hat et zur Seite mir sich hingestreckt;
Ef schlief bereits; ich aber blieb im Wachen.
Denn immer kam mir Henoch ins Gedächtnis^
Den Gott so liebte^ dass er ihm ersparte
Des Todes Qual, die Angst und Noth des Sterbens.
Ot könnten wir doch alle sein wie Henoch!
Wie er so gut, so fromm, so liebenswürdig.
Doch wie, dacht' ich, erstieg er solche Höh'n?
Er war kein Christ, kein Jud, kein Muselmann,
War ungetauft und wohl auch nicht beschnitten;
Er kannte weder Sonntag, Sabbath, Ostern,
Den Ramazan auch nicht, keinen Versöhnungstag,
Für ihn hatt* nie der Sinai gedonnert.
Nie hatt' er Kunde von der Nacht Al-Kadr
Und ward doch heilig, wie, durch welche Macht?
So grübelnd lag ich da im tiefen Sinnen
Und schier erdrückend ward es mir im Zelte;
Ich trat heraus ins unbegrenzte Freie
Zu stärken mich am frischen Hauch des Abends!
O schöne, unvergesslich grosse Nacht,
Sinnbild der Ruhe und der Seligkeit,
Des ausgelöschten Willens Ausdruck Du!
Wie führ ich eins mein Selbst mit der Natur.
Kein ich, kein du, kein sie mehr, keine Vielheit,
Hier athmet nur das Brahm, das Seiende,
Das Atman heisst, in unserer eig'nen Seele.
Jetzt erst begreif' ich was einst Moses schrieb:
Gott blies in uns den Odem ein des Lebens,
Dein ew'ges Atman. O Untheilbarer!
So zitterte es auf in meiner Seele
Und ganz verloren in Gedankenfülle
Streckt' ich mich nieder auf die Satteldecke
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Und lehnt' das Haupt am Sattel des Kameeles^
Der vor dem Zelte hingeworfen lag«
Nichts sah ich mehr als die endlose Eb'ne
Gebadet in der hellen Sterne Glanz,
Den Brunnen mit den Palmen, die Kameele
Und fern im "Westen Sanäa's Bergesgfipfel.
Da zuckt' ich auf! wär's möglich, seh' ich recht,
Ein menschlich "Wesen hier in dieser Oede?
Ein tiefgebeugtes Weib, das auf den Stab sich stützt,
"Wankt zu dem Brunnen, knieet bei ihm nieder
Und taucht die hohle Hand in seine Fluthen.
Sie hat das Haar verhüllt mit einem Tuche,
Hohl glänzen thränenlos ihr beide Augen,
Das Antlitz ist durchfurcht vom tiefsten Grame,
Die edlen schönen Züge gleichen Marmor,
Sie trägt die Kleidung der arabischen Jüdin.
Ein Geist ist's, dacht' ich bebend, was sucht hier
In dieser nächt'gen Stunde Juda's Tochter?
Ist auferstanden sie aus ihrem Grabe?
Treibt sie Gewissensangst in diese Wildnis?
So blickt' ich mit dem Ausdruck des Entsetzens
Auf dieses Weib mit den verstörten Zügen,
Die nun die Arme hoch gen Himmel hob.
In Jammertönen laut zu klagen anfing:
O Vater Henoch, hier an Deinem Brunnen
Bin fliehend ich, erschöpft dahingesunken
Und fleh' zu Dir, Du Ahnherr meines "Vaters,
Des heil'gen Sem, dess' Samen Gott gesegnet*
Gib Rettung mir in meiner Herzensnothl
Von allen Seiten drängen mich die Feinde,
Sie trachten tückisch mir nach meinem Leben
Und hetzen mich Verlass'ne, Jammernde
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Von Land zu Land, durch Wüsten, über Berge
Und ohne Rast und Ruhe muss ich wandern!
Ich kann nicht mehr; zur Last wird mir das Leben,
Das gräuliche, das mich zu Boden drückt»
Im Grabe ruht der Gatte, längst verwitwet
Blieb ich allein zurück in seinem Reiche.
Zwei liebe Kinder raubten mir die Feinde,
Zugleich mit Haus und Herd und aller Habe.
Nie werd' ich je ihr liebes Antlitz schauen.
Nie meines Gatten grosses Reich mehr sehen,
Meines Gebieters, der mein Alles war.
Dem Alles ich geopfert, selbst den Glauben,
Den Sem, mein Vater, durch die Ueberlieferung
Von Dir, o Henoch, dereinst übernommen!
Dir Heiliger ist dies Gebiet geweiht:
Zu Dir, o Ahnherr, naht sich Deine Tochter
Und fleht zu Dir um gnädige Erlösung.
Doch vorher, wenn es möglich ist, um Rache!
So redend rang das Weib die beiden Hände
Und liess sie langsam sinken auf den Schoss.
Sie senkt das Haupt und schüttelt es und starret.
Ein Bild des Jammers, in die Nacht hinein.
In diesem Augenblicke hört' ich deutlich.
Wie eine Hyäne nah' beim Zelte lachte.
Die in dem Sande scharrend faule Leichen
Auf diesem Karawanenweg getroffen.
Ein Schallen war's wie Lachen von Dämonen,
Wenn sie sich weiden an der Menschheit Schmerz.
Noch hatt' ich keine Zeit um mich zu fassen.
Als ich zwei Männer sah, die von verschiedenen Seiten
Geradeaus auf jenen Brunnen eilten.
Wo Hände ringend sass das müde Weib.
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Sic kommen nah und nähef ihr und eilend
Sind sie schon da; ich schatic klar ihr Antlitz
Und das des "Weibes^ welche Aehnlichkeit!
Da rief der Eine, dessen breite Brust
Ein golden Kreuz trug, einen Helm das Haupt:
Hier die Verworfne, mir so oft entkommen,
Sie die Vergfift'rin meines ganzen Lebens,
Die meinen Kindern nachstellt, Unheil streut
Auf mich sowie auf alles, was ich liebe.
Jetzt hab* ich Dich, nun, mir entgehst Du nimmer.
Verfluchte Hexe, Unheil meiner Tage,
Du Fluch und Sorge meines ganzen Daseins!
Der andre Mann war näher auch getreten;
Viel jünger blickt er, auf dem Haupt ein Turban,
Auf dem ein Halbmond als Symbol erglänzte.
Ihr Beide hier! So heult entsetzt die Bleiche,
Ihr Hunde kommt ja nicht in meine Nähe,
Denn jene Qualen, die ihr mir verursacht,
Sie haben heute meinen Leib gestählt
Mit einer magischen ungeheuren Kraft,
Vor der die Euere zwergenhaft zerstiebt.
Ich warne Hunde Euch, rührt mich nicht an!
Mit meinen Fäusten greiP ich Eu're Kehlen,
Gleichzeitig schnür' ich Euch den Odem zu.
Euch Beide zu erwürgen fühl' ich Macht!
Beisst doch Euch selbst, zerfleischt Euch gegenseitig,
Ihr Missgeburten, scheussliche Bastarde!
Da sah ich beide Männer sich besinnen
Und, stille stehend, Blicke auf sich werfen.
Es waren Blicke solch infernalen Hassens,
Dass schaudernd ich mein Blut erstarren fühlte:
Du wieder hier. Du niederträchtiger Schurke,
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Auf diesem heir^en Bodeiit den Du schändest?
Heut sollen nicht mehr meine wuchtigen Hiebe,
Wie schon so oft, Dich aus dem Lande schleudern,
Für diesmal sollst Du bleiben hier vor mir,
Jedoch als Leiche, als ein faules Aas!
Der mit dem Kreu^ begann jetzt ausser Fassung:
Der heute hier bleibt, Bluthund, das bist Du,
Denn mir allein gehört die ganze Welt!
Und dieses Land hast Du zuerst gestohlen*
So sprachen sie und griffen nach den Schwertern
Und plötzlich dann, wie losgelassene Panther,
Mit wildem Brüllen rasten auf einander
Die beiden schönen, jugendlichen Männer*
Zwei Schwerter blinkten, sausten schneidend nieder
Auf Helm und Turban, dass die Knochen dröhnten*
Da sank der Jüngere hin und rothes Blut
Quoll warm herab am Körper beider Kämpfer,
Und blutig ward das Kreuz, blutig der Halbmond
Wohlan, so fresst Euch, recht so, stich ihn nieder!
So heulte laut das Weib, die Zähne fletschend*
Wie eine Rachegöttin schien sie mir.
Die Flammen aufschürt unbegrenzten Hasses*
Erst fahr' ich Dir zu Leibe, rief der Aeltere,
Dann erst will jenem ich den Garaus machen.
Der dort am Boden liegt in seinem Blute*
Die Freude aber gönn' ich ihm im Sterben,
Dass er mit Augen sehe, mit lebendigen.
Wie ich Dich, Niederträchtige, durchbohre.
Mit Deinem Drachenblut den Boden röthe*
So sprechend, stürzt er wüthend sich auf's Weib,
Die ihm das Schwert entwindet, zauberkräftig
Und ihn gewaltig bei der Kehle packt*
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Dct ]ün.g*rCf der am Boden lag und stöhnte,
Fasst Steine, schleudert sie vom Hass getragen
Dem "Weibe und dem Aelteren in's Antlitz,
Bis beide Kämpfer schwer zu Boden stürzen»
Dann kriecht er bis zur Stelle dieses Kampfes,
Zu drei zerfleischt sich nun der wilde Knäuel
Mit grimmen Zischen grenzenloser Wuth.
Da schwanden mir die Sinne; unerhört
Verwerflich, niederträchtig und auch schändlich
Schien dieser Kampf, denn ich erkannte deutlich.
Wie sehr sich glichen dieser Kämpfer Züge.
Doch mich hielt unsichtbar, gleichwie mit Zauber
Gefesselt bei dem Sattel regungslos
Nicht Zis bewältigend eine dunkle Macht.
Zum Herrn des Himmels hob ich meine Seele:
O Gott, sprach ich, die Nacht ist's Deiner Macht,
Die Friedensnacht, wo selig Deine Engel
Hinuntersteigen auf die arme Erde.
Erhöre jetzt mein ohnmächtiges Flehen,
Sende herab den besten Deiner Geister
Und rette, hilf in dieser höchsten Noth!
Da traf mein Ohr ein Rollen fernen Donners;
Hell leuchten Blitze, die von unten dringen.
Und es erscheint ein Greis im Silberhaare
Mit langem Bart und wallenden Gewändern.
Und alles Licht geht aus von einem Ringe,
Den an der Hand er trägt, der wetternd leuchtet.
Unendlich hehr und unbesingbar schön
Ragt sie empor, diese Gestalt des Greises.
In seiner Hand erblick' ich einen Griffel,
Ein Sinnbild jedes segensreichen Wissens.
Ja, Henoch war's, und dieser Ring, ich fühlt' es.
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Es war der Ring, von dem die Sagfe singftt
Der hehre Ring, der unschätzbare heilige.
Der Ring, der einst die Zauberkraft besessen
Vor Gott und Menschen angenehm zu machen!
Ja, sicher ist's, kein Zweifel, jener Ring
Ist im Besitz des Herrn der Wissenschaft»
Der Ring, die Sehnsucht aller Religionen,
Der Ring, der uns zu Gott dem Herrn führt;
Der Ring, der Henoch so mit Gott verbunden,
Dass er das bittre Sterben ihm ersparte!
Der weise Mann im Osten hatte keinem
Von allen Sterblichen den Ring gegeben,
Er hatte, als ihn Gott zu sich berufen.
Auch diesen Ring, von dem er nie sich trennte.
Mit sich genommen in die Seligkeit.
Vor trat der Greis, hob die gewaltige Rechte
Den Ring hinauf hochragend in die Höhe.
Ein Meer von Licht erglänzt, der Strahl der Wissenschaft,
Der Vidya, der Sophia, der Erkenntnis,
In der der Wille sich verneinend wendet.
Dringt heilend jetzt den Kämpfern in die Augen.
Wie angedonnert stehen sie staunend da.
Ein Wunder heilte ihre schweren Wunden,
Es fallen ihnen Schuppen von den Augen
Und was verborgen war, ob gänzlicher Verblendung
Erkennen sie auf einmal sonnenklar.
O Mutter, liebe Mutter mein, o Bruder!
So tönt es laut und lauter, hell und klar.
Ist's möglich, ist's die Mutter und der Bruder,
Sind das die lieben, die geraubten Kinder?
Die Männer waren auf das Knie gesunken
Vor ihrer lieben Mutter, die nun schluchzend
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In Thfäncn ausbrach, Hände rangf vor Wonne
Und beide Söhne an den Busen drückte«
O meine Kinder, kann das sein, ist's wirklich?
Da war auch ich gesunken auf die Kniee
Und dankte Gott mit thänenvollem Auge
Für's eingetretene Dämmern der Erkenntnis.
Umarmt Euch Beide, Kinder, sprach die Frau,
Die wie verwandelt dastand, ganz verklärt
Und herrlich schön und ohne Leidensfurchen
In ragend starker kräftiger Gestalt.
Der Bruder stürzt sich an das Herz des Bruders,
Sie halten fest sich mit dem Arm umschlungen.
Glückselig schauend einander in die Augen*
Da schmiegt die Mutter sich an's Haupt der Kinder,
Der beiden Brüder, drückt sie an ihr Herz
Und ihre Lippen fliegen stumm beglückt
Vom Mund des Aelteren hin zum Jüngeren.
So fliehen hin die Stunden; Mutter, Söhne,
Sie konnten sich nicht lassen, nicht sich trennen.
Bis röthlich hell im Osten Morgendämmerung
Des neuen Tags die Seligen erhellte.
"Wie gleicht ihr doch dem Vater, liebe Kinder!
Sprach jetzt das Weib, und blickte in die Augen
Der beiden Söhne, die sie fest umschlungen
Noch hielt und koste und mit Küssen herzte.
Du lieber Erstgeborner bist wie er.
In der Gestalt und Riesenkraft des Körpers;
"Wie ihm strahlt Dir das Auge dunkel, männlich
Im Vollbewusstsein Deiner grossen Macht.
Das Haar nur bleichte sich bei Dir im Norden;
Schwarz war es noch, als Du ein kleines Knäblein
Auf meinem Schosse spieltest, ich Dich wiegte.
— J7 -
In Schlummer sang mit meinen alten Liedern.
Doch Du, mein Jüngster, gleichst ihm nur in Farbe,
Allein Dein Blick, Dein Lächeln, Deine Sprache,
Die Form der Glieder, des Gesichtes Ausdruck,
Hast Du von mir, mein vielgeliebtes Kind!
Von ihm hast Du den Muth, die Tapferkeit,
Auch das Lebendige, Wilde, Ungestüme,
Die Lust am Kampf und an dem Spiel der "Waffen.
Wohl hast Du mich seit lange schon vergessen,
Denn als ein Säugling an der Mutter Brust
Entriss mir Dich der unglückselige Wahn
Sehr bald nach Deinem Bruder, der nicht lange
Gelassen ward bei der unseligen Mutter.
O sähe heut' der Vater diese Stunde
Und theilte mit uns uns're Seligkeit I
Der Vater, riefen fragend die zwei Männer?
Nie sah'n wir ihn, nie hörten wir den Namen.
O Mutter sprich, sag% wie war er genannt?
Sein Name sei's, der mich mit meinem Bruder
Durch Wissens Macht auf ewig neu verbinde.
Ein grosser Held war er, sagte die Frau,
In deren Auge heller Stolz entbrannte;
Und auf die Schultern ihrer beiden Söhne
Legt sie die Hände siegreich triumphirend.
Er war der Gründer der Stadt Babylon,
War König aller Könige, ein Herrscher;
Sein Geist regierte diese ganze Welt,
Soweit wir Kunde haben ihrer Grenzen.
Bezwungen hat allein er alle Völker,
Hat sie erzogen, gab ihnen Gesetze;
Er drückte mächtig allen Nationen
Den Stempel auf seines gewaltigen Geistes.
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Ef war gfcwaltigf attch vor Gott, wie Keinei*,
Ein gffosser Jäger vor dem Herrn, ein Held,
Der Ahnherr war er aller Könige,
Die Stadt, die er gegründet, Babylon,
Sie ward die Mutter aller Länder, Völker,
An ihrer Brust entstand die Weltgcsittung!
Den Namen, Mutter, nenn' den Namen, riefen
Sie liebevoll bedrängend beide Kinder!
So hört mich an, sprach stolz das jüdische Weib:
Von dem ihr Blut und Fleisch seid, liebe Kinder,
Der mir Euch gab, der hehrste aller Helden,
War Sohn des Kusch, der Erb' und Ebenbild
Von Sem war, dem das Dasein ich verdanke.
So hört mich wohl; denn Nimrod war sein Name!
Vor trat jetzt Henoch, gibt sich zu erkennen*
Sic huldigen ztt Drei dem greisen Vater
Und küssen seine Hände, weil er gnädig
Durch Wissens Licht die Finsternis zerstreute;
Denn durch das Licht, das aus dem Ring entströmte.
War klar geworden ihnen auf einmal.
Ganz plötzlich und von selbst die volle Wahrheit:
Dass sie blos darum blinder Wahn bethörte.
So dass der Blutverwandtschaft sie vergassen.
Weil sie verlassen hatten jenen Glauben,
Der Henoch's heil'ger, wahrer Glaube war.
Die Sittenlehre, welche nur zwei Sätze
Und keine and're kennt und kennen konnte:
Gott lieben über alles, und wie sich selbst den
Weil nur Unwissenheit, die man Avidya nennt, [Nächsten,
Der Sinne Lug und Trug und Maya's Lügen schleier
Vorspiegelt, dass ein Unterschied bestehe
Zwischen dem ich und dem, der nicht ich ist.
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Als Erste raffte sich die Jüdin auf,
Denn immer vorwärts ist der Rasse Losung,
Bereit zu jeder Transformation,
Die jeder Fortschritt im Gefolge hat.
Sie löst das Tuch vom Kopfe, wirft es von sich
Und alle alten Vorurtheile mit.
Nun steht sie da, in grossartigfer Schönheit,
Und blüht so jung, so frisch, so lebensfroh*
Die Hände reicht sie ihren beiden Söhnen
Und spricht, indem sie sich zu Henoch wendet:
Wir haben schwer gebüsst, weil wir gesündigt,
Weil wir uns trennten einst von Deinem Glauben,
Dem ureinfachen, heiligen, ewigen.
Hinzugefügt ihm und ihn ausgesponnen*
Ich war die Erste, welche los mich trennte
Und riss die Anderen mit in das Verderben*
Den Weg, den ich ging, gingen diese Kinder
Und mit den Kindern dann die ganze Welt*
Die Erste kehr* ich nun zu Dir zurücke,
Und bringe mit mir die, 6it ich verführte*
Zu Deinem Gotte wenden wir die Schritte,
In Liebe und in Eintracht wohl belehrt.
Und schwören, nie und nimmer abzulenken!
„Wir schwören es** so riefen auch die Männer
Und hoben hoch die Hand zum Schwüre auf*
Dann segnet sie der Greis, der jetzt verschwindet*
Das Licht des ersten Strahls der jungen Sonne,
Die aufgeht jetzt im fernen Oriente,
Fällt auf 6ic Gruppe der Beseligten,
Die nun dahinziehn, wandelnd neue Wege,
Entgegengehend dem hellsten Sonnenlicht*
Da tönten schallend Jubelhallelujah:
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Von Schmerzen frei sei alles, was da athmct,
Ehfc Gott in der Höh% den Menschen Friede!
Da hörte ich, wie alte Tempel barsten,
Sah Engel fliegen, die Kanonen brachen;
In Trümmer flogen Schwerter, Bajonette,
Der Friedensgöttin Reich war angebrochen.
Der Gott des Krieges hatte ausgerongen»
Und auch das Thier, dem er die Macht gegeben.
Und welches lästerte den höchsten Gott
Durch lange Reihen von Jahrhunderten —
Sechshundertsechsundsechzig ist die Zahl,
Welche das Thier, das scheussliche, bezeichnet —
Ich sah und hörte, wie es seinen Rachen
Noch einmal aufthat und mit einem Fluche,
Dem grässlichsten von allen, giftig zischend
Für immer tauchte in den Meeresgrund.
Und ich verstand den Namen dieses Thieres,
Den Sinn der Zahl, er lautet: „Fanatismus^M
Von ihm ward heut befreit die ganze Menschheit
In dieser schönen heiligen Nacht Al-Kadn
Ich war erwacht und blickte nochmals forschend
Zur Stelle, wo so Grosses sich ereignet.
Und sah ein Lamm friedlich mit einem Wolfe
Gleichzeitig trinken von der Henochsquelle.
Vorwort*
,,ScIigf sind, die dursten nach der Gerechtigkeit", sagt der Heiland in der Bergpredigt, dem höchsten Gesetze für alle Zeiten, alle Völker, alle Menschen* Diesem Gesetze bin ich in diesem Werke gefolgt, mein Zweck dabei ist ausschliesslich, durch die Gerechtigkeit auch gegen Israel zur Friedfertigkeit — einem anderen Gebote der Berg- predigt — nach Massgabe meiner schwachen Kräfte bei- zutragen. Ich weiss wohl, welche Schwierigkeiten sich einem derartigen Versuche entgegenthürmen» Wer über die Juden nur das Geringste sagt und schreibt, das nicht ungünstig lautet, wird gLich als Jude und Freimaurer verschrieen. Doch bei mir wird dieses Mittel nichts , nützen* In meinem Stammbaum findet sich nicht die i geringste Spur jüdischen Blutes. Wäre dies aber der ; Fall, so würde ich dies nicht nur nicht verschweigen, ' sondern es geradezu freudigst bekennen, weil ich stolz wäre auf eine mögliche Stammverwandtschaft mit den heiligsten Männern und Frauen, die je auf diesem Pia- I neten gewandert sind. Auch bin und war ich nie Frei- maurer; als Officier und Diplomat hätte ich es meines Eides wegen nie werden können; auch wäre es mir überhaupt nie eingefallen, mich durch Schwüre an Un- bekanntes zu fesseln. Ich bin ein arbeitendes Mitglied der katholischen Kirche, die ich für die beste aller Re-
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ligionsgcsellschaftcn halte, die existiren und je existirt haben. Dass sie die beste von allen ist, lässt sich auf einem einzigen Wege, aber einem sicheren, weil er sich atif Zahlen gründet, nicht etwa blos logisch, sondern mathematisch beweisen. Es lässt sich nämlich mathe- matisch demonstriren, dass nirgends ausserhalb der ka- tholischen Kirche so viele Thaten der Nächstenliebe, des Mitleids, des Erbarmens verübt werden und worden sind, wie innerhalb derselben. Was die katholischen Priester, Mönche, die Klosterfrauen, die canonisirten und nichtcanonisirten Heiligen dieser Confession in der Nächstenliebe leisten und geleistet und zwar ohne Unter- brechung seit Jahrhunderten und überall in der Welt, auch gegen leidende Andersgläubige und Unge- taufte, das steht ausser Concurrenz. Keine andere ReligionsgescUschaft kann annähernd Aehnliches auf- weisen. Zwar bin ich überzeugt, dass viele Gläubige in anderen Religionen ganz dieselben Mitleidsthaten ge- leistet haben, aber nie und nimmer deren Gesammtheit in dieser Zahl und Masse, in dieser Proportion. Dem kann von keinem besonnenen Menschen widersprochen werden. Gegen Zahlen muss alles verstummen. Aus diesem Grunde ist die römisch-katholische Religions- gesellschaft bei Weitem die beste von allen. Was von liberaler Seite gegen die römische Kirche geschrieben worden ist unter dem Titel: „Inquisition, Religionskriege, Hexenprozesse, Ketzergerichte, Kampf gegen moderne Aufklärung und Wissenschaft, Intoleranz, Fanatismus", kann den Ocean ihrer Thaten des Mitleids gegen die arme leidende Menschheit nie und nimmer aufwiegen.
Der geehrte Leser möge entschuldigen, wenn ich mich veranlasst gefühlt habe, von meiner Person zu sprechen.
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Wer aber das orthodoxe Publikum kennt, der wird be- greifen, dass diese Bemerkung für die Sache geradezu nothwendig war.
Auch muss ich noch bemerken, dass aus dem Um- stände, dass ich hier vielfach Citate aus aufgeklärten Schriftstellern anführen musste, noch keineswegs folgt, dass meine unmassgebende Meinung mit der ihrigen identisch ist* Das ist zwar ganz selbstverständlich, aber es kann nie schaden, es noch ausdrücklich hervorzuheben* Sapienti sat.
Schloss Ronsperg in Böhmen, Februar J90J*
Hinaus mit den Juden! — nein^ schlagt sie todt! nein, taufet und bekehret siel nein, Ausnahmsgesetze ge- nügen I so erschallt seit Jahrhunderten der Ruf der Anti- semiten in vierfacher Nuance aus allen Königreichen und Ländern t Republiken nicht ausgenommen* Die Motivi- rung kennen wir: Sie sind Gottesmördert sie sind ver- stocktt verblendet, sie verstehen nicht ihre eigene hebräische Bibel, sie sind perfid, sie verstümmeln den Text der heiligen Schrift, sie verdrehen deren klaren Sinn, sie sind Wucherer, sie sind Kuppler, ihr Talmud erlaubt ihnen die NichtJuden zu tödten, zu betrügen, auszusaugen und auszuwuchern, falsch zu schwören zu Ungunsten eines Christen, wenn es zum Vortheil eines Juden ge- schieht; nur sie betrachten sich selbst als Menschen, die Christen dagegen als Thiere und Götzendiener. Sic kreuzigen und schlachten kleine Kinder, verwenden deren Blut zur Anfertigung ihrer ungesäuerten Brode und zu anderen Zwecken; in ihren Schriften wird Christus, die Gottesmutter, die Kirche geschmäht, sie schänden und spiessen consecrirte Hostien, die dann zu bluten pflegen, sie sind Schuld an der Unmoralität unserer Zeit, ver- derben durch ihre Zeitungen und sonstigen Pressproduktc die christliche Sitte, sie ruiniren durch Wucher brave Bauern, Officiere, den Handels- und Gewerbestand und das ehrliche Handwerk, sie drücken die Preise der Pro- dukte und Löhne, sie bestechen Könige, Kaiser, Minister, Parlamentarier und Richter, verführen keusche Mädchen
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und Ehefrauen^ sie haben durch schlaue Finanzoperationen alle Regierungen in ihre Netze verstrickt^ sie beeinflussen alle Staatskabinette t sie sind die Führer der Freimaurer und der Socialdemokratie^ sie vergifteten die Brunnen^ sie führten verheerende Seuchen durch Zauber herbei , sie beteten einen goldenen Eselskopf an^ sie mästeten und schlachteten alljährlich einen Griechen ^ sie tödten und vergiften Propheten, sie sind räuberische Kulturbeduinen, gewissenlos, grausam, sinnlich, blutdürstig, sie hassen die ganze Welt und glauben kein "Wort von dem, was die Kirche lehrt, ja sie halten sogar den unerschaffenen heiligen Koran für ein Machwerk, Christus für einen Zauberer und Mohammed für einen Schwindler!
Fürwahr eine lange Registerarie!
Ich gestehe, dass ich selbst in Folge wiederholten An- hörens eines grossen Theiles der obigen Anklagen die meisten derselben geglaubt habe und fast so weit ge- kommen war, mit den Antisemiten zu beten: „Oh Herr, schick* uns den Moses wieder, auf dass er seine Stammes- brüder heimführe in's gelobte Land. Lass auch das Meer sich wieder theilen, und lass die beiden Wassersäulen feststehen wie eine Felsenwand. Und wenn in dieser Wasserrinnen das ganze Juden volk ist drinnen, dann, Herr Gott, mach* die Klappe zu, dann haben wir arme Christen Ruh!''
Und in der That müssen Jedem, der die obige Liste liest, die Haare zu Berge stehen.
Wer aber alle diese Anklagen also gruppirt und zu- sammengestellt sieht, ohne Rücksichtnahme auf ihre Zeit und Ursprung, könnte deren Qualität und Quantität überblickend vielleicht mit mir zu dem Verdachte ge- langen, dass die Sache denn doch irgendwo einen
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kleinen Haken haben könnte. ffDic arischen Völker sind sesshafter Natur, sie pflegen die Wissenschaft, sie sind muthigf, tapfer, der Grundzugf ihres Wesens ist Geradheit, Ehrlichkeit, Treue und Hingebung'* las ich einmal im „Antisemitenkatechismus".
Ich war hocherfreut und äusserst geschmeichelt, solche liebenswürdige Sachen zu lesen über eine Rasse, der an- zugehören ich die Ehre habe, und bildete mir nun ein, dass die arische Geradheit und Ehrlichkeit es mir zur Pflicht machen, in Befolgung der Weisung des Apostels: „Prüfet Alles und behaltet das Beste", die Richtigkeit obiger Beschuldigungen zu prüfen, bevor ich sie als wahr annehme, und die arische Wahrheitsliebe und der arische Muth es von mir erheischen, das klar Erkannte auch offen bekannt zu geben ohne die geringste Rücksicht für Arier und Semiten, oder Christen, Juden und Muslims« Ich studirte mehrere Jahre hindurch die sogenannte Juden- frage und erlaube mir nun die Resultate dieser Arbeit der Oeffentlichkeit zu übergeben. Ich werde Jedem zu besonderem Danke verpflichtet sein, der mir zum Zwecke gütiger Belehrung in dieser Broschüre Irrthümer nach- weisen wird.
Der oben citirte Antisemitenkatechismus erschien im Jahre J893 in Leipzig im Verlage von Hermann Beyer. Sein Verfasser ist Theodor Fritsch (Thomas Frey). Dieses Werkchen enthält in gedrängter Kürze und systematischer Zusammenstellung alle Vorwürfe, die von Seiten der Anti- semiten gegen diejuden erhoben werden, ausgenommen jene, die einen konfessionellen Charakter haben; denn nach der Ansicht des Autors ist es unrichtig, dass der Anti- semitismus auf religiösen Motiven beruht; er soll eine Rassenfrage sein, keine religiöse.
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Lassen wir dem Autor des Katechismus das Wort:
,,Es fällt Niemanden ein, die Juden ihrer Religion wegen zu Bekämpfen, Ihren Gottesdienst trachtet Nie- mand zu stören; er erfreut sich der zärtlichsten Schonung bei allen Klassen — auch bei den Antisemiten.
Die Zurückführung des Antisemitismus auf religiöse Gehässigkeit ist eine grobe Entstellung der Sachlage. Gerade unter den Freigeistern finden sich die entschiedensten Antisemiten (Giordano Bruno, Voltaire, Schopenhauer, Feuerbach, Johannes Scherr, Dühring u. s. w.).
Wie schon der Name sagt, richtet sich der Anti- semitismus gegen die ,,Semiten*% also gegen eine Rasse, nicht gegen eine Religion. "Wenn die Antisemiten die Religion der Juden bekämpften, so müssten sie sich „Anti-Israeliten" nennen. Es verräth also ein geringes Sprach Verständnis, wenn Jemand den Antisemitismus mit der „Religion" in Zusammenhang bringt.
Im Uebrigen aber wird diese Begriffsfälschung von gewisser Seite absichtlich gepflegt, um das Volk über das wahre Wesen der Judenfrage zu täuschen.**
Vorerst muss ich bemerken, dass der Katechismus sehr unrecht hat, wenn er sagt: „Wenn die Antisemiten die Religion der Juden bekämpften, so müssten sie sich Anti-Israeliten nennen." Das ist falsch. Sie müssten sich „Antimosaisten** nennen, denn Israel bezeichnet ein Volk, und zwar die Gesammtheit der J2 Stämme, von welchen JO spurlos verschwunden sind und zwar schon im Jahre 722 v. Chr. nach der Eroberung Samaria's durch die Assyrier. Von dieser Zeit an gibt es kein Reich Israel mehr. Dagegen würde das Wort Anti- mosaismus dem Begriffe entsprechen, den der Katechismus ausdrücken will.
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Ich werde mir erlauben^ ausführlich auf diesen Punkt zurückzukommen» Beginnen wir mit der Definition* Fritsch's Katechismus definirt den Antisemitismus mit folgenden Worten: ,,Was versteht man unter Anti- semitismus? Anti heisst gegen und Semitismus bezeichnet das Wesen der semitischen Rasse. Der Antisemitismus bedeutet also die Bekämpfung des Semitenthums. Da die semitische Rasse in Europa fast ausschliesslich durch die Juden vertreten ist, so verstehen wir unter den Se- miten im engeren Sinne die Juden» Antisemit heisst also in unserem Falle „Judengegner**.
In Frage J3 und 14 des Katechismus wird das nun näher erläutert; sie lauten:
ff\Z) Worin soll der Rassenunterschied bestehen?
Die europäischen Völker gehören fast sämmtlich der arischen oder indogermanischen Rasse an, die Juden hingegen der semitischen. Die arischen Völker sind mehr sesshafter Natur; sie pflegen Ackerbau, Gewerbe, Kunst und Wissenschaft; sie sind staatengründend, muthig und tapfer; der Grundzug ihres Wesens ist die Geradheit, Ehrlichkeit, Treue und Hingebung. — Sie sind die eigent- lichen Kulturvölker.
Die echten Semiten hingegen sind von Natur Nomaden; sie haben keine eigentlich dauernden Wohnsitze, kein rechtes Vaterland. Sie ziehen dahin, wo die beste Beute winkt. Sie bauen und bebauen nichts selbst; sie suchen die durch fremden Fleiss geschaffenen Kulturstätten auf, beuten die vorhandenen günstigen Verhältnisse aus, grasen, sozusagen, die Weideplätze ab und lassen sie geplündert und verödet zurück. Ackerbau, Technik und Kunst ist ihnen fremd, wie jede ehrlich schaffende Arbeit. Sie geben sich den Anschein, als verachteten sie die
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Arbeitt in Wahrheit aber fehlen ihnen die Fähigfkeiten dazu*
Die semitischen Nomaden der "Wüste (Beduinen) be- treiben noch heute Raub und Plünderung in der offensten und urwüchsigsten Weise. Der Jude aber ist gleichsam der ,,Kulturbeduine**; er betreibt dasselbe Geschäft in ge- wissermassen civilisirter Form» Seine Domäne ist der ,tHandeI*% der bei ihm freilich einen sehr weiten Begriff deckte denn in der jüdischen Sprache bedeutet das Wort ttMassematten** ebensowohl ein Handelsgeschäft als einen Diebstahl.
Die Plünderungszüge der Kulturbeduinen treten auf in der Gestalt von Hausirhandelt Wanderlagern, Pfand- leihe, Abzahlungsgeschäften, 50-Pf ennig-Bazaren, Wucher, betrügerischem Bankrott, Börsenspekulation u. s. w. Einzelne dieser „Branchen*^ sind ausschliesslich von Juden vertreten. Aber auch als „Arzt^^ für Geschlechtskrank- heiten, Rechtsverdreher, socialdemokratischer Agitator u. s. w. weiss der Kulturbeduine sehr einträgliche Beute- züge in die Taschen seiner „Mitbürger*^ zu unternehmen.
J4) Sind die Juden aber nicht zu unehrlichem Erwerb dadurch gezwungen worden, dass man ihnen die recht- schaffenen Berufszweige verschloss?
Diese Ausflucht war früher zeitweise berechtigt, heute schon lange nicht mehr. Ausserdem bleibt immer noch die Frage offen: Warum verschloss man ihnen früher das ehrliche Handwerk? Offenbar nur deswegen, weil sie allerlei Missbräuche in demselben einführten, es aus- beuteten und die soliden Grundlagen desselben zerrütteten.
Ueberdies haben sich die Juden niemals nach ehr- licher Handwerksthätigkeit gesehnt; der Schacher und Wucher war für sie nicht etwa nur ein Nothbehelf,
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sondern^ wie wir oben gesehen haben^ er bildet von jeher den Grundzugf ihrer Semitennator. Seit Jahrzehnten stehen den Juden alle Berufszweige offen, aber wir sehen nicht, dass sie Maurer, Zimmerleote, Dachdecker, Tischler, Schmiede, Schlosser, Maschinenbauer, Uhrmacher, Schrift- setzer u. s. w« werden. Und wenn man heute alle Juden- jünglinge bei freier Lehre und freier Kost in die Werk- stätten stecken wollte, — sie würden doch bei der ersten Gelegenheit davon laufen, um zu schachern* Der Semite will und kann nicht arbeiten und schaffen, sondern nur mühelos erbeuten und plündern.
Dabei bilden List, Verschlagenheit, Heuchelei und Lüge die Haupt-Grundzüge des Semitencharakters, zu denen noch Zudringlichkeit, freche Anmassung, schranken- lose Selbstsucht, unerbittliche Grausamkeit und masslose Geschlechtsbegier kommen. Unsere deutschen Begriffe von Treue, Bescheidenheit, Hingebung, Aufopferung für eine Sache sind dem Juden unverständlich und fordern seinen Spott heraus. Ihm erscheint nur das als Tugend, was persönlichen Vortheil oder Genuss verspricht.**
Wir wollen diese Darstellung prüfen. Untersuchen wir also den Begriff „semitisch**, „semitische Rasse** und die Beziehung der Juden zu derselben.
Erstes CapiteL
Semitenthum, Semitische und jüdische Rasse*
Das Wort Semit enthält einen Eigfennamen^ den Namen des Sem^ des ersten Sohnes Noe's; von Sem stammen nach der Lehre der Bibel sämmtliche Semiten ab. Nun» das lässt sich hören* Die heiligte Schrift sagt im 18. und J9. Vers des 9. Capitels der Genesis nach Allioli's recht- gläubiger Uebersetzung: ,,Es waren also die Söhne Noe's, die aus der Arche hervor gingen^ Sem^ Cham und Japhet^ Cham aber ist der Vater Chanaan's; das sind die drei Söhne Noe's und von diesen ist das gesammte Menschen- geschlecht fortgepflanzt worden auf der ganzen Erde.** Sem's Name kommt im alten Testament 15 mal vor, wie aus Mandelkernes Concordantia ersichtlich, und zwar t2 mal in der Genesis und 3 mal im Buche der Chronik, wo die Genesisgenealogien wieder aufgezählt werden. Im neuen Testament erwähnt ihn blos der Verfasser des Evangeliums nach Lucas in seinem dritten Capitel der bekannten Genealogie Christi. Alles, was wir von Sem wissen, entstammt somit der Genesis. Auch in der rabbinischen Litteratur ist von ihm viel die Rede, und selbst der Koran erwähnt seiner in der elften Surah, die Hud genannt ist. Nach dem hebräischen Texte der Genesis und ohne Berücksichtigung des Codex Samaritanus oder der Septuaginta wurde Sem geboren im Jahre (558 der Erschaffung der Welt, ca. 2400 Jahre vor Christus. Er wurde 600 Jahre alt, war JOO Jahre alt, als er Arpach- schad zeugte, gerade 2 Jahre nach der Sündfluth. Er lebte dann noch 500 Jahre und zeugte Söhne und Töchter.
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Die Bibel gibt uns seinen Stammbaum im JO. Capitel der Genesis, der sogenannten Völkertafcl; der ist nun bis Abraham wie folgt:
Noe
Sem Cham Japhet
Elam, Aschur, Arpachschad, Lud, Aram
Schelach Uz, Chul, Geter, Masch Eber
Peleg (ward 239 Jahre alt) Joktan
Reü (ward 239 Jahre alt) Elmodad
I Saleph
S^ (ward 230 Jahre alt) Asarmoth
I Jare
. Aduram
Nachor (ward J48 Jahre alt) Uzal
1 Decla
Terach (ward 205 Jahre alt) Ebal
I Abimacl
Saba
/ Abraham\ /Nahor i Haran
Jobab*
/ Abraham \ / IN ahor i Jtiaran ^ * , \ Sarai /\MiIkal/ gP^J^
Demnach war Sem noch ein Zeitgenosse Abraham s, welch' Letzterer gerade 300 Jahre nach der Sündfluth geboren ist, ja er überlebte ihn sogar noch um geschlagene 35 Jahre, starb als Jacob schon 50 Jahre alt war, und hatte die seltene Freude, nicht weniger als 20 ganze Nationen
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zu erlchttit die alle von ihm abstammten*). Dies alles berichtet uns ,,Moses", der inspirirte Verfasser der Thora» wie Juden und Christen zu gflauben befohlen^ Moses^ der g-eboren sein soll ca. 500 Jahre nach Sem's Tode. Ein interessanter Mann fürwahr dieser berühmte Sem^ der dem Antisemitismus seinen Namen gegfeben; hat er doch die ganze Sündfluth mitgemacht» er mit seinem Vater und seinen 2 Brüdern^ 4 Männer mit je einer einzigen Frau» zusammen 8 Mann hoch mit Specimens aller Thiergattungen, Säugethieren» Vögeln, Amphibien, Ge- würm, Wild und Hausvieh J50 Tage lang in der luft- und lichtlosen Arche — 300 Ellen lang, 50 Ellen breit und 30 Elllen hoch. — Schade, dass Sem kein Tagebuch hinterlassen und uns nicht mittheilt, wie sein Vater sich das Schnabelthier, den Jaguar und den Polbären ver- schafft hat, wie den Raubthieren die Pflanzenkost ge- schmeckt und bekommen und woher die zweite Taube den grünen Oelzweig herhatte, den sie gebracht zum Zeichen, dass die Vegetation wieder begonnen, nachdem alles 150 Tage unter Wasser gewesen war, das Wasser (5 Ellen höher gestanden als die Gipfel der höchsten Berge und erst sieben Tage vorher eine andere aus- gelassene Taube zurückgekehrt war, da sie nirgends einen Ort gefunden, wo sie sich hätte setzen können. Auch hätten wir aus einem Buche Sem's vielleicht er- fahren können, was aus den Nachkommen seiner Gross- onkeln Jabal, Jubal und Tubalkain aus der Cainiten-
*) Hier ist keine Rücksicht genommen auf jenes "Wunder, wonach Abraham bis zu seinem Tode 60 Jahre seines Lebens verloren hat. Er wurde nämlich geboren, als sein Vater Thare 70 Jahre alt war. Tharc starb im Alter von 205 Jahren, nach seinem Tode wanderte Abraham aus und war 75 Jahre alt.
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linic gfewordcn, die die Stammväter aller jener gewesen sein sollen, die in Zeiten wohnen ä la mode des Semites, respective Zither spielen und in Erz und Eisen arbeiten. Aüch von den berühmten Nephilim, den Göttersöhnen, die sich in die Töchter der Menschen verliebt und mit ihnen Kinder gezeugt, hätte Sem Interessantes berichten können. Wie schade, dass er es unterlassen! Sem kannte noch persönlich den Methusalem, den Zeitgenossen Adam% der ihm sicherlich viel Interessantes erzählt haben muss. Dass nur die Gesellschaft, deren Mitglied Sem in der Arche gewesen, von der gesammten Menschheit gerettet wurde, bezeugen Christus (Math. 24, 37 flg.), der Apostel Petrus (2. Petr. 3, 5; 2, 4—9, und J. Petr. 3, 20), das Buch der Weisheit J4, 6 und J5 Kirchenväter, der Katechismus des Tridentinischen Concils und Papst Pius, von Moses gar nicht zxs reden f der J3 mal wiederholt, dass alles Fleisch vernichtet wurde, ausser den Arche- bewohnern. (Vergleiche Hummelauer, Commentarius in Genesim, Seite 240.)
Jüdische Theologen haben Sem im Melchisedech wiedererkennen wollen, in jenem heiligen, elternlosen Manne, der zugleich mit Abel in jedem Canon der heiligen Messe erwähnt wird.
Sem ist also für Christen, Juden und Muslim's eine hochhistorische Persönlichkeit. Ganz anders wagt in ihrer Verworfenheit die freie Wissenschaft zu glauben. In ihrem Bereiche haben sich die Gelehrten seit jeher den Kopf zerbrochen über den Ursprung des Namens Sem. Nach Einigen kommt er vom hebräischen Namen Schem, was einfach Name, respective hoher, angesehener, edler Name bedeutet, oder von Schama, hoch sein, also der Highlander, Andere dachten an einen Himmelsgott vom
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Worte Schamajim, die Himmel (im Ploral, es soll deren nämlich mehrere geben)*). Aüch Arya (Arier) heissen im Sanscrit die Edlen^ was auf eine grosse Aehnlichkeit zwischen Semiten und Arier puncto Grössenwahn hin- weist. Doch das nur nebenbei* Sie waren doch so nahe verwandt^ dass man sich über Familienähnlichkeiten nicht allzu sehr wundern darf. Das einzige nun^ was uns die Thora von Sem berichtet, ist, dass er und sein Bruder, der Stammvater der edlen Arier, von ihrem Vater Noe gesegnet worden sind, weil sie Beide, das Gesicht nach rückwärts abgewandt, ihn mit einem Mantel zu- deckten, als er betrunken und entblösst in seinem Zelte lag. Da ihrem Bruder Cham diese Idee nicht rechtzeitig eingefallen war, wurde nicht er, sondern sein Sohn Chanaan von Noe verflucht; warum gerade Chanaan, ist bekannt*
Ein socialdemokratisch angehauchter Gelehrter hat über Sem und den Ursprung seines Namens folgende Daten zusammengestellt, die ich des grossen Interesses wegen wiedergebe, den Sem für uns in Anspruch nimmt. Der Ungläubige wagt zu schreiben:
Nun wäre noch über den Namen Sem's einiges zu sagen. Derselbe ist weit älter als alle Erinnerungen der Bibel, er tritt schon über tausend Jahre früher in Baby- lonien auf. Ursprünglich war schem wie der schon oben
*) So berichtet der heilige Paulus im 12. Capitel seines zweiten Briefes an die Korinthier^ dass er bis in den dritten Himmel ent- rückt worden ist. Er wisse aber nicht zu sagen, ob im Leibe, oder ausser dem Leibe. Die Mohammedaner glauben, dass es sieben Himmel gibt, ebenso das spätere Judenthum; so wurde der Prophet Mohammed bei seiner Himmelfahrt, dem berühmten Mirädj, sogar bis in den siebenten Himmel entrückt.
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betfo-chtcte Name ghan und anHefc, Bezeichnung: eines göttlichen Wesens, Stammes geistes, seine Bedeutung ist: G(5istm«tter. Es ist also der Gegensatz zu. Scheth» "Wie die Jeht^da nach Jahut die Keniter nach Kain, die Christen nach Christus, ihren Gott, sich nennen, so nannte der Stamm, der diese Urmutter verehrte, sich Schemiten. Er drang sehr früh in Babylonien, welches ehemals von Völkern turanischer Abstammung bewohnt wurde (im Grunde genommen sind die Schemiten auch nichts anderes), ein, und da er die kleinen Staaten, die damals bestanden, eroberte, machte er sich einen Namen, erwarb Ruhm; — deshalb finden wir später das Wort Schem (babyl. schäm) als Ausdruck für Name, Ruf, Ruhm. Aber diese Be- deutung hat zu grossen Missverständnissen geführt, in- dem man übersah, dass das Wort auch noch in seiner alten Bedeutung für den Geist selbst und das Grab, ins- besondere das Malzeichen im Gebrauche blieb. So liest man bei Luther und noch in den meisten der neueren „wissenschaftlichen** Bibelübersetzungen folgenden Unsinn: „Wohlan, lasset uns eine Stadt und einen Thurm bauen, dessen Spitze sei am Himmel; wir wollen uns einen Namen machen, damit wir uns nicht zerstreuen auf der Erde." (J. Mose U, V. 4).
Was der „Name** zu diesem Zwecke beitragen soll, kann kein vernünftiger Mensch einsehen, — es handelt sich auch um keinen solchen, sondern um ein weithin sichtbares Zeichen, Denkmal, welches wohl geeignet war, eine Zerstreuung zu hindern (das heisst nach den Anschauungen des Geschichtenschreibers). Ebenso machte sich David, als er vom Siege über die Aramäer zurückkehrte, ein schem (2, Sam. 8, J3); dass das kein Name war (einen solchen hatte David
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schon), sondern ein Siegfeszeichen, liegt auf der Hand* Erst aus diesem Begriffe des Zeichens (Males) hat sich der des „Namens^* entwickelt. Auch für die deutsche Sprache decken sich ja die Worte Benennung (Benamsung) und Bezeichnung genau so wie zeichnen und malen. Un- civilisirte Völker besitzen eben noch keinen besonderen Namen, sondern an ihrem Leibe nur ein Stammeszeichen, — eingeschnitten oder angemalt. — Deshalb hat man an vielen Stellen des a. T. statt Name Zeichen zu lesen, da sonst kein Sinn herauskommt, z. B* beim Gebote: „Du sollst den Namen Gottes nicht erheben zur Un- wahrheit; — rühme dich seines heiligen Namens etc."
Erobernde Völker erhöhen nun auch ihre Götter. Die älteren Babylonier (Sumerier, Kusch) sahen den Mond (schin) als Sitz ihres grössten Geistes an, daher auch ihre Zeitrechnung nach Mondumläufen und Mond- jahren, sowie der Name ihres Landes Schingir (in der Bibel: Schinar, Lutherübersetzung: Sinear), das ist „Land des Schin" oder der Schin (als Volksstamm). Die er- obernden Schemiten setzten an Stelle des alten Schin im Monde ihren Schem, und zwar in die Sonne, letztere wurde zum „Sitz des Schem*^ schemesch, — das ist auch der hebräische Name der Sonne (babyl. schamasch). Auch in Kanaan wurde Schem schon vor Ankunft resp. Aus- breitung der Hebräer verehrt, als Stammvater sowohl wie als Sonne. Nicht weniger als drei Orte mit Namen Bet-Schemesch, das ist: Sonnenhaus, Sonnentempel, citirt uns die Bibel selbst in Palästina, einen Ort gleichen Namens überdies noch an der Grenze Aegyptens. Aber auch eine Stadt Schimron fanden die Israeliten vor (Jos. n, I; J9, 15); es ist ohne Zweifel derselbe Ort, dessen Name später in der Form Schomron vorkommt.
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nämlich Samarien* i* Kö» i6f 24 wird zwar die Er- bauung Schomrons auf Omri zurückgeführt, der hat sie aber wohl nur als Residenz ausgebaut, im Uebrigen liegt dort eine ganz alte Sage vor. Schemer, von dem an- geblich der Berg Schomron gekauft wurde, ist nichts als der alte mit Schem identische Ahnengeist, das bezeugt selbst noch die spätere Bedeutung des "Wortes. Ihren Gott verehrten die Samaritaner unter dem Namen Schima* Als sie sich nach dem Exilc dem Judengotte Jahu zu- wandten, nannten sie ihn ebenfalls Schima*
Selbst in der Gesetzgebung der Juden haben sich die Reste des alten Gottes Schem erhalten. So 3. Mos. 24, i \ : „Er beschimpfte den Schem und fluchte'% sodann wiederum 5. Mos. 28, 5Zi „Dass du fürchtest den furchtbaren Schem, Jahu, deinen Gott.^* In beiden wie noch in anderen Fällen ist für Schem nur die Bedeutung Gott oder Geist zulässig, — die rabbinische Fabel, dass es „Name*^ bedeute, ist gänzlich unhaltbar.
Es ist beachtenswerth, dass noch heute in der Tartarei (Mittelasien) dit westwärts gelegenen Länder, besonders Syrien „Sehern*' genannt werden.'* (Scham heisst näm- lich auf Arabisch „Syrien**.)
Sind die Antisemiten überzeugt, dass sie sich nicht auch ein Götzenbild, einen Schem construiren, um auf dasselbe Scheiben zu schiessen?
Die Antisemiten werden es mir hoffentlich verzeihen, wenn ich über den Eigennamen, nach welchem sich ihre Partei benennt, etwas zu ausführlich geworden bin. Die Freidenker unter ihnen werden dies, ich fürchte, ganz überflüssig gefunden haben, da sie antworten dürften, dass sie an eine historische Persönlichkeit, wie ihn die Genesis uns vorführt, ja nie geglaubt haben und unter
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Semiten nur eine Völkergruppe, eine Rasse sich denken^ aber nicht die Nachkommen des Patriarchen Sem* Der Antisemitismus, versichern sie uns, habe ja mit der Religion nichts, ja gar nichts zu thun* Dann ist es aber immerhin merkwürdig, wenn sie sich nach einer Per- sönlichkeit benennen, an deren Existenz wir gar nicht glauben können ohne eine starke übernatürliche Hilfe der geoffenbarten Religion. Doch können die Anti- semiten darauf antworten, dass der Name wohl aus der Bibel stammt, aber in ihrem freidenkerischen Kopfe dennoch die Rasse vorstellt, ohne Beziehung auf die Persönlichkeit des guten Sem* Ich acceptire das, aber dann sei die Frage gestattet, warum sie sich selbst^ nicht Japhetiten benennen nach Sem's Bruder und Noe's Sohn, welche Benennung ja auch ganz religiös unver- fänglich wäre und bei Wahrung der Gedankenfreiheit blos die Rasse und nicht die Nachkommen des Ehren- mannes Japhet auszudrücken hätte* Warum ist die Be- zeichnung Japhetiten denn so verpönt?
Nun, nach meiner Meinung ist der Grund hierfür folgender* Die Vermeidung der Bezeichnung Japhetiten, die doch der einzig richtige Gegensatz zum Begriffe Semiten wäre, beruht auf dem Bibel-Dogma, dass alle Menschen der weiten Erde von Sem, Cham und Japhet abstammen, und zwar die Semiten von Sem, die Neger von Cham und die übrigen Völker, also die Arier und die mongolische Rasse, von Japhet. Zu den Japhetiten würden darnach auch die Chinesen, Mongolen, Türken, Tartaren etc* gehören, und in diese Gesellschaft wollen die indogermanischen Antisemiten als edle Arier um keinen Preis hinein, was jedenfalls kein Compliment ist für die turanischen Magyaren und Grossrussen* Daher
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nehmen die Antisemiten einen Theil blos der Japhetiten, nämlich die Arier heraus «nd zählen sich begeistert dazü. Wo bleibt aber ihre Freidenkerei? Denn als Freidenker sollten sie wissen, dass in der Völkertafel der Genesis von keinem Volke die Rede ist, das ttns ver- anlassen könnte, an Neger oder Mongolen awch nur im Entferntesten zu denken. (Reüss). Japhet und seine Söhne sind Arier durch die Bank. Daher wäre die Bezeichnung Japhetiten ganz unverfänglich gewesen; sie wurde ver- mieden, weil, wie beim Worte Semiten, die religiöse, d. h. bibelgläubige Auffassung eine grosse Rolle spielt.
Daher behaupte ich, dass sowohl der Name Anti- semitismus als auch die Vermeidung des Wortes für das Pendant der Semiten — nämlich des Wortes Japhetiten — durchwegs aus Vorstellungen der sogenannten ge- offenbarten Religion entspringen, und das ist immer- hin bedenklich gegenüber der Behauptung, dass der Anti- semitismus mit der Religion gar nichts zu thun habe.
Genug von Sem. Gehen wir nun weiter zu dem Begriff semitisch und semitische Rasse. Die Antisemiten halten die Semiten für eine dem Blute nach unter ein- ander verwandte Völkergruppe, nicht blos für eine Gruppe von Völkern, die verwandte Sprachen — nämlich die so- genannten semitischen Sprachen — reden, sondern für verwandt der Rasse, der Abstammung und dem Blute nach* Denn nur dann, glauben sie, wären gemeinsame Anlagen und Charaktereigenschaften denkbar und möglich. Was sind denn nun diese semitischen Völker, von denen die Juden einen Zweig vorstellen? Heute lebende und semitische Sprachen sprechende Völker sind nur die Araber, die Abyssinier und die Reste der Chaldäer. Den Begriff semitische Sprachen hat zum ersten Male Pro-
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fessof Eichhorn aofgfestellt im Jahre J787, in seiner Ein- leitung in das alte Testament. F. Hommel bemerkt, dast man nämlich vor Eichhorn die hebräische, arabische und aramäische Sprache kurzweg: orientalische Sprachen nannte» Es waren die einzigen Sprachen dieser Gruppe, die man am Ende des vorigen Jahrhunderts kannte* In die Völkertafel der Genesis sind nun als Söhnr Sem's Elam, Aschur, Arpachschad, Lud und Aram genannt* Aram ist der Stammvater der Aramäer (Syrier), Arpach- schad der Ahnherr der Araber und Hebräer; von den Sprachen der Nachkommen Elam's, Aschur's und Lyd's wusste man damals noch nichts* Daher soll der genannte Gelehrte die Bezeichnung semitische Sprachen für die Sprachen der ganzen Gruppe gewählt haben* Die übliche Eintheilung der semitischen Völker und Sprachen, der todten wie der lebendigen, ist nun nach Hommel wie folgt:
a) im Süden: i» Die Abessinier, welche relativ spät von Südarabien herüber ins afrikanische Alpenland Habesch ge- wandert sind und im 3* Jahrhundert n* Chr* sich zum Christenthum bekehrten; 2* die Südaraber oder Sabäer, auch Himjaren genannt; 3* die Central- und Nordaraber, gewöhnlich schlechthin Araber geheissen*
b) im Norden und Nordosten: l* die Hebräer und Phönikier (letztere mit ihren Colo- nien in Carthago, Spanien, Massilia, Kreta u* a*) und 2* die Babylonier und Assyrer. Wenn wir endlich eine Aufzählung der semitischen Sprachen nach der zeitlichen Folge der uns noch er-
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haltenen Litcratufwerke vornehmen, so ergibt sich
folgende Reihe:
J. altbabylonisch (die ältesten semitisch-babyl. Königs- inschriften, die sogenannten Izdubar oder Dubar- legenden etc.) von ca. 2000 — J500 v. Chr.;
2. hebräisch (die alten Volkslieder in den historischen Büchern, z* B. Segen Jacobs, Deborahlied; der De- kalog; das jehovistische Geschichtsbuch Gen. 2, 4 etc.; die ältesten Psalmen u. a.) von ca. J500 an (aller- dings das wenigste davon in gleichzeitiger Auf- zeichnung);
3. assyrisch ca. J200 — 600 v. Chr. (die längeren histo- rischen Königsinschriften) ;
4. neubabylonisch (Inschriften des Nebukadnezar und seiner Nachfolger, dann die assyr. Uebersetzung der dreisprachigen Achämenideninschrif ten) ;
5. phönikisch (die ältesten Inschriften nach Einigen vom 7.Jahrhundert an, die meisten aber Jahrhunderte später);
6. aramäisch von ca. 300 v. Chr. an, da die sogenannten chaldäischen (besser west- oder biblisch -aramäi- schen) Stücke des alten Testaments jedenfalls nicht später angesetzt werden dürfen; der Haupt- theil der uns erhaltenen aramäischen Literatur be- ginnt aber mit der syrischen, deren älteste Stücke ins 2. Jahrhundert n. Chr. fallen;
7. südarabisch in den sabäischen (himjarischen) In- schriften, welche zum Theil schon in die ersten Jahrhunderte n. Chr. zu setzen sind;
8. äthiopisch; die erhaltene Literatur beginnt mit der äthiopischen Bibelübersetzung im 4. Jahrhundert n. Chr.; einige wenige äthiopische Inschriften sind kaum ein Jahrhundert älter;
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9* arabisch vom 6* nachchristlichen Jahrhundert an, in welches die uns noch überkommenen vorislamischen Lieder gfehören; dann reiht sich vom 7. Jahrhundert an die umfangreiche mohammedanisch-arabische Literatur an, deren ältestes Denkmal der Koran ist, deren Haupt- blüthe aber erst in den Beginn der Abbasidenherr- schaft fällt. Nach antisemitischer Theorie sind nun die semitisch sprechenden Völker stammverwandt, weil sie eben stamm- verwandte Sprachen reden, und die Indogermanen eben- falls gleichrassigf, weil sie auch stammverwandte Sprachen sprechen* Das ist ganz einfach ein grober Irrthum, Die Stammverwandtschaft der Sprachen ist kein Beweis für die Stammverwandtschaft der Völker, die diese Sprache reden» Die Deutschen in Ostpreusscn sind germanisirtc Slaven, die Bulgaren slavisirte Turanier, ebenso die Gross- russen, viele Italiener in der Lombardei sind romanisirte Germanen; dasselbe gilt für viele Bewohner Frankreichs, und diese Beispiele liessen sich ad libitum vermehren. Der berühmte Orientalist Vambery schreibt:
„Leute mit geschlitzten, schiefen Augen, flacher Nase, stumpfem Kinn, die Vertreter der echten mongolisch- mandschurischen Blutsverwandtschaft sprechen persisch, (indogermanisch) und zwar das Persische von Ost-Cho- rassan; während die Bewohner der Ufer des Jaxartes mit ihrem schwarzen Haar und reichen Bartwuchs, dem schlanken Leib und dem langen, schmalen Antlitz den reinen iranischen Typus repräsentiren, aber nur türkisch (tu- ranisch) sprechen und mit Ausnahme der in den Bergen Samarkands wohnenden Galtsas ihren iranischen Ursprung längst vergessen haben."
Anatole Leroy-Beaulieu sagt: „Welche Nationalität ist,
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was die modelten Völker Europas ttnd Amerikas anbelangt^ auf Rasseneinheit gfe§fründet? Ist's England mit seinem Amalgfam von Bretonen^ Sachsen, Dänen, Nordmannen? Ist's Frankreich mit seinen Kymriern, Galliern, Iberern, Germanen, Lateinern? Ist's Deutschland, wo der Teutone im Westen eine so starke keltische, im Osten eine solche slavische Kreuzung erfahren hat, dass in mancher Gegend Deutschlands bei der Mehrheit der Deutschen die blauen Augen und die blonden Haare der Germanen nicht mehr vorkommen? Ist's Russland, das alte moskowitische Russ- land mit seinem Conglomerat von noch heute kaum russifi- cirten Skythen und Sarmaten, Slaven, Tartaren, Finnen? Wären es die Vereinigten Staaten von Amerika, die seit hundert Jahren Ansiedler aus allen Ländern Europas auf- genommen haben, oder die spanisch-amerikanischen Repu- bliken, welche eine förmliche Hauptskala von ganzen und halben Tönen erfunden haben, um die verschiedenen Ab- schattirungen der Bastarde zu benennen, welche aus der Kreuzung des Europäers mit dem Indianer und dem Neger hervorgegangen sind? Sämmtliche Nationen unserer Zeit sind ein Gemisch von mehr oder minder mit einander ver- schmolzenen Rassen und Völkern. Wir alle — Franzosen, Russen, Deutsche, Engländer, Italiener, Spanier, Ungarn, Griechen, Rumänen, Bulgaren — sind half-bred, Misch- blut» Ob gross oder klein, Abendländer oder Morgen- länder, mögen sie sich Germanen, Angelsachsen, Lateiner betiteln, Vollblut erblicke ich unter modernen Völkern %S?^?S^ Was bliebe von Frankreich übrig, wenn wir auf unser gallisches Blut die Probe bestehen und mit, ich weiss nicht welchem, Bretonen die Parole ausgeben müssten: Frankreich für die Kelten?^*
Es geht also nicht an, Völker als stammverwandt
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blos desshalb zu betrachten^ weil sie verwandte Sprachen reden. Unzweifelhaft ist es eine sichere Errungenschaft der Wissenschaft t dass innerhalb der sogenannten se- mitischen und der sogenannten indogermanischen Sprachen jede Sprache dieser Gruppen unter sich verwandt ist» Es fragt sich aber, ob die semitischen Sprachen irgend eine nachweisbare Beziehung haben zu jenen Völkernt die von Sem abstammen nach der sogenannten, mehrfach besprochenen Völkertafel der Genesis, oder mit anderen Worten: gibt es einen Connex zwischen den soge- nannten semitischen Sprachen und den sogenannten se- mitischen Völkern? Ich kann mir nicht den Spass ver- sagen, die Worte eines Fachmannes zu citiren — nämlich des Professors J» G. Müller, Dr. der Philosophie und Theologie in Basel, der in seinem Werke: „Die Semiten in ihrem Verhältnis zu Chamiten und Japhetiten*' ver- sucht hat, den Beweis zu erbringen, dass es überhaupt gar keine semitische Sprachen gibt, und dass die unter dem Namen Sem zusammenhängende Völkerfamilie nichts weiter vorstellt, als Indogermanen (!), die sich cha- mitisirt haben* Er schreibt darüber folgendes:
„Schon seit über fünfunddreissig Jahren steht mir die Ansicht fest, dass die im Alten Testament, namentlich J. Mos* X, unter dem Namen Sem zusammen gefasste Völkerfamilie ursprünglich Indogermanen seien, von denen sich aber viele, namentlich die Hebräer, besonders hin- sichtlich der Sprache chamitisirten. So die in chamitische Länder eingewanderten Assyrier, Perser, Lydier, Aramäer, Chaldäer und Hebräer. Ich berührte diesen Gegenstand zuerst ' in der hiesigen historischen Gesellschaft in einer Abhandlung über Vorderasien vor und nach Israels Auf- enthalt in Aegypten. Durch fortgesetzte Aufmerksamkeit
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auf diesen Gegenstand hatte sich mir diese Ansicht fort- während bestätigt^ nwr dass sie sich mir bestimmter dahin modificirte und vereinfachte , dass mir jetzt sämmtliche Semiten chamitisirte Indogfermanen sind, die Japhetiten dagegen rein gebliebene. Dieses Resultat vereinigt am einfachsten die älteste Ueberlieferang mit dem gegen- wärtigen Stand der linguistischen Untersuchungen, was in diesem Werke im Einzelnen nachgewiesen werden soll, wobei zugleich auf die mir seither gemachten Einwen- dungen die Antworten ertheilt werden.
Es ist noch kein Jahrhundert verflossen, seitdem durch Schlözer und Eichhorn sich in der Gelehrtenwelt ein vorher unbekannter Sprachgebrauch festzusetzen gcwusst hat, nach welchem alle mit der hebräischen Sprache in dieselbe Sprachfamilie gehörenden Sprachen semitische und die sie sprechenden Völker Semiten genannt werden, wenn sie auch im A. T. constant zu den Chamiten ge- zählt werden, Cananiter mit den Phöniziern, Aethiopen oder Cuschiten, Phut oder Libyer.
Dieser neuere Sprachgebrauch geht von folgender Thatsache und folgendem Schlüsse aus:
Die Hebräer und die Cananiter-Phönizier redeten die- selbe Sprache* Ihre Sprachen gehörten nicht blos der- selben Sprachenfamilie an, sondern sind sogar nur dia- lektisch verschieden. So ist es auch mit dem Chaldäischen.
Diese Thatsache ist richtig. Daraus wird der Schluss gefolgert: Da die Hebräer nach ihrer eigenen Ansicht Semiten sind, so ist auch ihre Sprache eine semitische, die ganze Sprachenfamilie die semitische.
Dass dieser Schluss ein unrichtiger sei, soll im Ver- lauf ausführlich und gründlich nachgewiesen werden. Einstweilen diene blos zur orientirenden Vorbereitung
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die Bemerkung, dass dies derselbe Schluss ist, wie wenn einer aus der richtigen Thatsache, dass die Franzosen (Franfais, Franken), Burgunder und Lombarden (Longo- barden) romanische Sprachen reden, folgern wollte, dass nicht blos die Deutschen, welche romanische Sprachen angenommen haben, sondern alle Deutsche Romanen seien, ihre Sprache eine romanische*
Sonst hält man es für ein kritisches Gesetz, von der ältesten Ueberlieferung als der Basis der Untersuchung auszugehen. Hier geht man von einem ganz modernen Sprachgebrauch aus, und wenn zu demselben die Ueber- lieferung nicht passt, wird sie einfach für falsch erklärt.
Dieser Schluss ist veranlasst und begünstigt durch ein jüdisches (nicht durch ein hebräisches) selbstgefälliges Vorurtheil, nach welchem vor der babylonischen Sprach- verwirrung alle Welt hebräisch sprach* Dies hatten die Rabbiner sogar nach ihrer Zahlensymbolik oder Gematria ausgerechnet* Derselben Ansicht war auch noch Isaak Abarbanel zugethan. Es folgten die Kirchenväter Ori- genes, Hieronymus und Augustinus mit der Behauptung, dass das Hebräische die Ursprache sei* Die Buxtorfe hielten das Hebräische wenigstens für die Ursprache der Semiten, ohne jedoch den Ausdruck „semitische Sprachen** auf die ganze Sprachenfamilie auszudehnen* Und doch hätte diese Anwendung, wenigstens für einen alten Ortho- doxen der damaligen Schule, so nahe gelegen* Denn wenn das Hebräische ursprüngliche Sprache der semitischen Hebräer war, so ist sie nothwendig eine semitische Sprache und die ganze Sprachenfamilie die semitische* Uebrigens fehlte es auch nicht an solchen, welche die griechische Sprache für die Ursprache des Menschengeschlechtes hielten. Und wenn die Araber das Arabische für die
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Sprache Gottes halten, so gilt es ihnen ja auch für die älteste Sprache.
So wenigf lag aber diese Ueberhebung ihrer Sprache im Sinne der alten Hebräer und des A. T., dass das Hebräische nicht Hebräisch oder Sprache Sem'st Abraham's, Israelis oder dergleichen genannt wurde, sondern echt historisch Sprache Canaans, also als eigentliche Sprache der Cananiter* Ebenso bezeichnen diese Sprache die Griechen als phönizisch. Weil der Dichter Choirilos die Solymer phönizisch sprechen lässt, halten Hecatäus von Abdera, Manethos, Eupolemos, Agatharchides und Flavius Josephus die Solymer für Juden, woher statt Jerusalem, welchen Ausdruck noch Aristoteles gebraucht hatte, der Name Hierosolyma bei den Griechen und Römern auf- gekommen ist.
Gegen jenes Vorurtheil zu Gunsten der hebräischen Sprache als der Ursprache hat zuerst Leibniz angekämpft und dasselbe zu entfernen gesucht.
In neuerer Zeit ist die keinem Altorthodoxen eingefallene Bezeichnung dieser Sprachenfamilie als einer semitischen von Schlözer und Eichhorn durch den Umstand begünstigt worden, dass der bisher übliche Name orientalische Sprachen seit der genaueren Bekanntschaft mit dem Sanskrit, Zend u. s. w. und ihrer Familienzusammengehörigkeit mit den occidentalischen Sprachen als nicht mehr passend auf- gegeben werden musste. Nachdem nun durch Friedrich Schlegel der Ausdruck „indogermanische Sprachen'* für diese ganz andere orientalische Sprachenfamilie aufge- bracht und durchgedrungen war, glaubte man im Gegen- satz dazu die phönizische Sprache Canaans semitisch nennen zu müssen, weil sie auch von den semitischen Hebräern, Terachiten, Chaldäern gesprochen wurde. Ver-
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geblich bekämpfte Stange diesen letztgenannten Sprach- gebrauch. Weder seine Gründe, noch sein Name waren gewichtig genug gegen Männer wie Schlözer und Eich- hottif und das um so weniger, da Stange zu dem nun einmal unpassend gewordenen Namen von orientalischen Sprachen zurückgekehrt war.^^
Am Schlüsse seines Werkes schreibt Müller:
„Es wurde bei allen einzelnen semitischen Völkern nachgewiesen, wie sie in ihrer oberasiatischen Heimat indogermanisch sprachen, in den chamitischen Ländern aber chamitische Sprachen annahmen* Eine wichtige Rolle spielt hier die Frage nach der ägyptischen Sprache, ob sie mit der phönizischen und verwandten in dieselbe Familie gehöre? Sie ist allerdings eine andere Sprache, wie das Französische eine andere Sprache ist als das Deutsche. Aber wie diese beiden in dieselbe Familie ge- hören, so jene beiden* Dies ist durch Hinweis auf die Untersuchungen der gelehrtesten Aegyptologen gezeigt worden*
Im dritten Buche, dem Culminationspunkt des Ganzen, wurde die gleiche Untersuchung für die Hebräer ange- stellt* Wie sie nach der Weise der übrigen Semiten ausser- sprachliche Culturelemente von den Chamiten annahmen, so auch die Sprache, und zwar von den Cananiter- Phöniziern* Die entgegengesetzten Annahmen wurden ausführlich widerlegt* Das Hebräische ist also keine semitische Sprache, sondern eine chamitische, Phönizisch die Sprache Canaans* Es gibt gar keine semitische Sprache*"
Nun ja gewiss, es gibt keine semitische Sprache mit Bezug auf semitische Völker* Denn nur das will Pro- fessor Müller sagen* An die nahe Verwandtschaft der
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sogenannten semitischen Sprachen und deren gemeinsame Abstammung von einem ursemitischen Dialekt zweifelt er nicht im Geringsten, er läugnet nur, und mit Recht, dass die sogenannte semitische Sprachen redenden Völker eine ethnographische Gruppe bilden und dem Blute und der Abstammung nach mit einander verwandt sind. Dass er aber sämmtliche Semiten zu Indogermanen machen will, ist allerdings köstlich, ebenso köstlich wie ähnliche Versuche anderer ,,Gelehrten^% auch die Aegypter und Chaldäer zu Indogermanen umzubacken*
Die Völkertafel von Genesis JO klärt diese Räthsel nicht auf. Chanaan ist der Sohn Cham's, nicht Sem's, und doch wissen wir, dass die Chanaaniter Semiten waren und keine Chamiten, der Sprache nach. Mizrajim, der Stammvater der Aegypter, und Kusch, der Stamm- vater der Aethiopier, sind ebenfalls Söhne Cham's. Kusch ist der Vater Nimrod's, des Erbauers von Ninive (I). Reuss nennt diese Völkertafel die eigentliche und vollständigste ethnographische Mythe. Die Kuschiten (also ein Chamiten- zweig), sagt Maspero, sprachen anscheinend eine dem Hebräischen, Arabischen und den übrigen semitischen Mundarten sehr nahestehende Sprache. Die einfachste Erklärung dieser Erscheinung ist die, welche in den Kuschiten und Semiten keine grundverschiedenen Rassen, sondern zwei zu verschiedenen Epochen zur Gesittung gediehene Theile ein und derselben Rasse erblicken würde. Maspero nennt die Kuschiten ganz apodiktisch einen „alten Zweig der semitischen Völkerfamilie*% und einer solchen Autorität darf man glauben. Daher kein Antisemitismus ohne Antikuschitismus.
Das eine wird mir nun der geehrte Leser fetzt schon gütigst zugeben wollen, dass in den Begriffen semitische
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Völker und semitische Sprachen^ insofern sie sich auf die angfeblich von Sem abstammenden Völker beziehen, eine Confusion herrscht t die gar nichts zu wünschen übrigf lässt. Wird aber das zugfegfeben, dann erlaube ich mir die Frage, ob es gerecht und edel ist, Individuen, von denen man annimmt, dass sie zu einer Völkergruppe gehören, deren Begriff so schwankend ist, wie eine auf der Nase eines Akrobaten schwingende Balancierstange, darum politisch und social als inferiore oder schlechtere Wesen zu betrachten!
Sicherlich werden die Antisemiten darauf erwidern, dass ihnen das hier über die Sprache zum Besten Ge- gebene längst bekannt ist, aber mit der Frage gar nichts zu thun hat, ebenso wenig als wie der Urpatriarch Sem und seine Kinder, Enkeln und Urenkeln* Es käme ihnen gar nicht auf die Sprache an, ebenso wenig als wie auf den mythischen Urahn. Desto besser; wir können daher weiter gehen und fragen: worin unterscheiden sich denn die Semiten von den Ariern anders als in der Sprache? Sind sie vielleicht anthropologisch eine andere Menschen- rasse? Auch hier ist der Unterschied deswegen schwer zu constatiren, weil die "Wissenschaft nichts weniger als einig ist in der Eintheilung und im Eintheilungsgrund der verschiedenen Menschenrassen. Hier wird erst die Confusion possierlich, viel ergötzlicher noch als beim babylonischen Thurmbau! Linne hat vier Menschen- rassen, die er nach den Continenten eintheilt, Blumenbach fünf, eingetheilt nach der Farbe, Topinard drei, — Ein- theilungsgrund ebenfalls die Farbe — Huxley vier, — Eintheilungsgrund der Körperbau — mit zusammen elf Unterabtheilungen; Friedrich Müller zwei, — Eintheilungs- grund die Behaarung — mit je zwei Unterabtheilungen, die
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•wieder in Unterabtheilungen zctiidlcnf A* Retzius theilt die Menschen ein nach vier kraniologfischen Typen, H. Weicker und Boca in fünf, J. Kollmann in sechs, — Eintheilangsgfund ebenfalls die Schädelform. Prichard hat sieben, Bory de St. Vincent fünfzehn, Morton 2wei- tindzwanzig Menschenrassen herausgfetüpfeltl Wie will man denn nach diesen Eintheilungen und Eintheilungfs- gfründen die verschiedenen Semiten einschachteln! Die schwarzen Abyssinier, die schwarzen und die weissen Juden, die fcrummnasig:en und stumpfnasigen, die hell- haari§fen und schwarzhaarigen, die schönentwickelten und grossen spanischen Juden und die schwächlichen polnischen, die mageren arabischen und die fettleibigen marokkanischen Hebräer» Ich constatire, dass eine Eintheilung und Scheidung der Semiten weder auf Grund der Schädel- form, noch der Farbe, noch des Haarwuchses, noch der geographischen Etablirung streng wissenschaftlich und exact durchführbar ist. Dass nicht blos nicht die Semiten, sondern nicht einmal die Juden als eine einheitliche Rasse oder Unterrasse betrachtet werden können, werde ich später nachzuweisen versuchen.
Also mit der Sprache ist es nichts und mit dem Körper und seinen Formen und Theilformen ist es auch nichts Rechtes! Was bleibt nun übrig?
Die Seele, der Charakter, das innere \7esen, ant- worten stolz die Indogermanen. Wohlan, untersuchen wir streng diese angeblichen Unterschiede. Es ist der berühmte Renan, der es versucht hat, die Unterschiede zwischen Semiten und Arier zu fixiren und zwar in seinem Werke: „Histoire genitale et Systeme compare des langues scmitiques^ ein Werk, das er in Paris im Jahre J855 publicirte — das Datum ist wichtig — und
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das vom Institut de France preisgekrönt, von der römischen n A^-A/^A/ Curie auf den Index gesetzt wurde. Renan nun ent- • wirft in dem ersten Capitel seines genannten Werkes ein \ kühnes allgemeines Bild der semitischen Charakter- und Geisteseigenschaften. Nach seiner Meinung fallen 6it semitische Sprachen sprechenden Völker thatsächlich zu- sammen mit einer bestimmten Menschengruppe; er ver- tritt also gerade die entgegengesetzte Meinung wie J. G» Müller. Als charakteristische Merkmale der ganzen se- mitischen Rasse führt Renan an: Sie haben keinen Sinn für Wissenschaft und Philosophie, dafür einen ihnen eigenthümlichen Sinn für die Religion; grosse Entwicklung der Subjectivitätt keine Rasse habe mehr egoistische Leidenschaften, sie bilden eine inferiore Rasse der mensch- lichen Gesellschaft, sie seien von Natur zum Monotheismus gleichsam prädisponirt, sie hätten nie eine Mythologie gehabt. Die Folge ihres Monotheismus sei ihre grosse Intoleranz, sie allein haben Propheten, sie haben den Begriff Offenbarung erfunden. Dem Semiten fehle der analysirende Sinn and das Verständnis der Vielheit im Weltall; es fehle ihnen jedwede Neugierde, weil ihre Vorstellung von Gottes Allmacht eine derartige sei, dass sie über nichts erstaunen. Es fehle ihnen jedwede Varietät, ! jedweder Sinn für Nuancen; von Strafen kennen sie nur die Todesstrafe, sie seien zum Ernst angelegt; es felile ihnen die Gabe des Lachens, sie haben keine plastischen Künste, kein Epos. Sie haben kein Verständnis für die Civilisation in unserem Sinne, der Typus des Semiten sei in den arabischen Wüsten zu suchen, sie seien von Natur Nomaden, daher vollkommene Anarchie ein Merk- mal der Rasse. Militärische Untüchtigkeit, Unfähigkeit zu jeder Disciplin und Subordination, keine persönliche
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Aufopferungsfähigkeit; der Semite kenne nur Pflichten gegen sich selbst« Die Semiten seien unvollkommen in Folge ihrer Einfachheit, keine Abstraction, keine Meta- physik, ihre Sprachen seien nicht präcis. Soweit Renan. In diesem berühmten Capitel hat Renan den Grund gelegt zum rationalistischen, von der Religion losgelösten, nur dieEigenthümlichkeiten der Rasse betrachten wollenden Antisemitismus, einer Schule, dessen Hauptverfechter mein hochverehrter Freund ist, Professor Wahrmund, der diese Darstellung Renan's weiter durchgeführt und entwickelt hat in seinen interessanten Broschüren: „Das Gesetz des Nomadenthums*' und „Babylonierthum, Judenthum und Christenthum*^ Aus dieser Darstellung Renan's haben nun alle Rassenantisemiten geschöpft und sie immer weiter für ihre Zwecke ausgebeutet, obgleich Renan selbst seine
■ Darlegung des Wesens der semitischen Rasse später in Folge der Fortschritte der Assyriologie für antiquirt
I erklären musste, was er auch getreu seiner Devise veritatem dilexi gethan und mit Freuden gethan hat»
Renan hatte sich thatsächlich in seiner obigen Dar- stellung gründlich geirrt, was dadurch zu erklären ist, dass zur Zeit, wo er dieselbe schrieb, die grossen Ent- deckungen auf dem Gebiete der Assyriologie noch nicht gemacht waren. Und wirklich fehlen die assyrische und babylonische Sprache in seinem Register; sie glänzen durch Abwesenheit* Diesen Mangel scheint Renan schon damals empfunden zu haben, denn er schreibt in seiner Vorrede: „Alle wesentlichen Charaktereigenschaften, die ich der semitischen Rasse und den Idiomen, die sie ge- sprochen hat, beigelegt habe, passen durchaus nur für die reinen Semiten, wie die Terachiten, die Araber und die Aramäer im engeren Sinne und bewahrheiten sich
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nwr unvollkommen mit Bezug auf Phönicien, Babylonien^ Yemen und Aethiopien. Aber es ist klar^ dass ich bei einer Besprechung über die Semiten im Allgemeinen hauptsächlich die Zweige jener Familie im Auge haben musste^ die durch die Berührung mit dem Ausland am wenigsten beeinflusst waren und die die allgemeinen Züge der Völkerfamilie am besten bewahrt haben* Ich will mich gegen den Vorwurf, dass ich mich in meiner Dar- stellung zuviel durch die Beobachtung der reinen noma- dischen und monotheistischen Semiten habe beherrschen lassen und dass ich aus derselben die heidnischen, ge- werbe- und handeltreibenden Semiten zu wenig berück- sichtigt habe, nicht vertheidigen, wenn man mir nur zugibt, dass blos die Ersteren uns schriftliche Denkmäler hinterlassen haben und dass nur sie allein in der Ge- schichte der Sprachen den semitischen Geist repräsentiren/' Ja eben, tempora mutantur. Erst im Jahre 1849 hatte F. de Saulcy den Beweis versucht, dass die assyrische Sprache eine semitische Sprache ist* Offenbar wusste Renan dies im Jahre tZ55 noch nicht, oder er war noch im Zweifel und wagte nicht, sich zu äussern. Professor J. G. Müller versichert auf Seite 85 seines oben citirten Werkes, dass Renan damals, also im Jahre J872, noch zugleich mit Gesenius, Lorsbach, Winer, Tuch, Runik, Hitzig, Jablonsky, Lassen, Bertheau und Roth die assyrische Sprache für eine indogermanische gehalten habe. Er befindet sich also sammt seinem Irrthum in guter Gesellschaft; voreilig war aber seine Beschreibung der Semiten darum doch. Heute steht es fest, dass das \ assyrische und babylonische Reich semitische Imperien | waren. Dasselbe ist auch bezüglich der Phönicier und Himjaren sicher, damit stürzt aber seine Theorie über
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das innere Wesen dct Semiten zwsammen wie ein Karten- haus. Stürzt aber die, dann kracht die wissenschaft- liche, rationalistische, antisemitische Theorie ebenfalls über den Haufen und der Antisemitismus muss zurück, wo er hergekommen ist, zur Theologie» Denn treten Phönicier, Aethiopen, Assyrer und Babylonier als anerkannte Mitglieder der „semitischen Völkergruppe'' in die Öffentlichkeit, dann ist bewiesen, dass die gebil- detsten und ältesten semitischen Völker polytheistische Semiten waren, die eine reiche Mythologie besassen, ein Epos hatten und zwar das Nimrod-Epos; dass sie uns die ältesten Literaturdenkmäler hinterlassen, dass sie fähig waren, grosse, militärisch starke und Jahrhunderte Stand haltende Imperien zu gründen, mit Disciplin und Subordi- nation, dass sie der Wissenschaft ergeben waren, während die Ausgrabungen in Mesopotamien den Beweis liefern, dass die Kunst hei ihnen blühte. Fritz Hommel sagt in seiner Geschichte Babyloniens, Seite 5 : „Was alles in der griechischen Kunst auf phönicisch-babylonische und assy- rische Anregung zurückgeht — ich weise hier nur auf die Flügelgestalten, wie auf die jonische Säulenordnung als auf besonders Charakteristisches hin — tritt durch die neuesten archäologischen Forschungen in immer klareres Licht; auch hier ist fast nur babylonischer, weit seltener ein aegyptischer, eher noch hie und da ein aus beiden gemischter Einfluss nachzuweisen . . ♦ . So bestätigen also Cultur-, Religions- und Kunstgeschichte, dass Baby- lonien und nicht Aegypten die meisten Steine zu jenem ge- waltigen Bau, den wir Civilisation nennen, beigetragen und dass von Babylonien aus der Strom der Cultur theils zur See durch Vermittlung der Phönicier, theils auf dem Land- wege über Kleinasien zu Griechen und Römern und damit
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später auch ins romanisch - germanische Europa ge- gangen ist/'
Die Chaldäer, sagt der gelehrte Eduard Meyer, sind in Astronomie und Mathematik die Lehrmeister des gesammten Abendlandes gewesen. Die in der Biblio- thek des Königs Assurbanipal (Sardanapal) aufgefundenen Contrakttäfelchen sind ein Beweis für die damals herr- schende Rechtsordnung« Sie zeigen, dass Renan sich irrt, wenn er sagt, der Semite kennt nur die Todesstrafe» Eine semitische Bevölkerung finden wir in Nordbabylonien schon circa 3800 v« Chr» vor und sie ist circa 2500 v. Chr. die herrschende im Lande. Die neusumerischen Texte sind, wie Hommel sagt, ganz aus dem semitischen Ge- dankenkreise herausgedichtet.
Freilich waren es nicht Semiten, welche zuerst Chaldäa be- völkert und canalisirt haben. Die erste Civilisation ist keine semitische, sondern eine turanische, obwohl auch das be- stritten wird. Hören wir darüber F. Hommel. Er schreibt :
„Dass nicht die Semiten, sondern ein ganz anders- sprachiges und andersgeartetes Volk die sumpfigen Niede- rungen des Euphrat canalisirt und besiedelt und zugleich die Erfinder der Keilschrift und mancher weiteren Cultur- elemente waren, ist eine Thatsache, welche heutzutage kein vernünftiger Forscher mehr in Abrede stellen kann. Die leider mit vielem Aufwand von Scharfsinn nun seit über zehn Jahren bis zum Ueberdruss vorgetragene und immer wieder neu modificirtc Theorie eines jüdischen Pariser Gelehrten, wonach die sumerischen Texte keine Sprache, sondern nur eine Art Geheimschrift, bezw. ein künstliches grammatisches System hätten darstellen sollen, ist eine der absurdesten Behauptungen, welche je gemacht worden sind. Trauriger Weise gibt es keine so thörichte
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Aufstellung^ die nichts zumal bei nur oberflächlichen Kennern der in Rede stehenden Textquellen^ sofort viel- seitigfe Zustimmung fände. So ist es auch hier^ und das konnte um so leichter geschehen, als Halevy, der Urheber und Hauptverfechter der genannten Theorie, wirklich ein ausgezeichneter Kenner der semitisch abgefassten baby- lonisch-assyrischen Literaturdenkmale ist. Und noch mehr muss das allgemeine Urtheil, zumal bei Fernerstehenden verwirrt werden, wenn in allerletzter Zeit Forscher, welche selbst einen rühmlichen Antheil am Aufbau der sume- rischen Grammatik haben, in ganz bedenklicher Weise den Anschauungen Halevys sich nähern.^^
Nun wird niemand behaupten können, dass Hommel ein Freund der Juden ist. Da er aber über die Semiten nichts Böses sagen kann, so fürchtete er sich offenbar, für einen Juden gehalten z\s werden und findet sich ver- anlasst, in dem Vorwort seines Werkes: „Semitische Völker und Sprachen^' ausdrücklich zu erklären, dass er weder jüdischen Blutes sei, noch aus judenfreundlichem Antriebe schreibe. Dem berühmten Petersburger Professor und Semitologen Chwolson wirft er sogar vor, in seinem Werke „die Semiten" übermässig günstig für dieselben zu schreiben, da er ein Jude sei! Das war nothwendig vorauszuschicken, damit man mir nicht den Vorwurf machen könne, nur den Semiten freundlich gesinnte Autoritäten anzuführen. Man darf Hommel somit für ganz unverdächtig betrachten, wenn er erklärt, „dass die uns im zweiten vorchristlichen Jahrtausend in Nordbaby- lonien entgegentretende, schon so hochentwickelte Cultur, vor allem die Wissenschaften, nie ohne die Mitwirkung der Semiten zu Stande gekommen wäre und dass nur die Grundlage der babylonisch-assyrischen Cultur von
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den Sumeriern stamme^ ihr Ausbau und ihre Vollendung aber ein Werk der Semiten seit wenn auch die Letzteren nie ohne jene Grundlagen dieselben geschaffen hätten." Das ist allerdings gelungen! Wie weiss denn Hommel, dass die Semiten ohne jene Grundlagen diese Cultur nie hätten schaffen können? Weiss denn Hommel, dass die Sumerier jene Cultur geschaffen und nicht selbst wieder von einem anderen uns unbekannten Volke entlehnt und diese wieder von einem anderen und so fort? Spukt da nicht die biblische Auffassung, dass die Menschheit unge- fähr 6000 Jahre alt ist, herum, oder etwas Antisemitismus ? Welche Cultur, frage ich, hätten denn die Germanen, Gallier und Slaven zu Stande gebracht ohne die vorher- gehende römische, welche Cultur die Römer ohne die Griechen, die Griechen ohne die Phönicier u. s. w. u» s. w., bis in die tiefste Nacht der Zeiten ?
Nicht von den Sumeriern, sondern von den Semiten stammt die babylonische Sage von der Weltschöpfung, dem Paradies mit den 4 Strömen, der Sündflut und dem Thurmbau» Hören wir Hommel selbst:
„Was nun die Frage anlangt, wie sich diese merk- würdigen Übereinstimmungen erklären, ob durch blosse Entlehnung der Hebräer von Babylonien her oder um- gekehrt, so möchte ich aus ähnlichen Gründen, wie oben bei den Busspsalmen, eher das letztere annehmen, wenn nicht etwa eine Tradition von der Erschaffung der Welt, dem Paradies mit vier Strömen (natürlich noch namenlos und ohne geographische Fixirung), dem Fall der Engel und dann der Menschen schon zum ältesten Besitz der noch vereinigten Semiten gehört hat, was mir noch wahr- scheinlicher erscheint. Dann sind von den semitischen Babyloniern diese Vorstellungen mit der sumerischen
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Göttcfwclt verquickt worden, bei den Israeliten aber haben sie sich wesentlich in der ursprünglichen Reinheit erhalten, mit Ausnahme dessen, was von babylonischen Einflüssen schon vor Abraham (alles in J S was direkt auf Babylonien weist, so der Name Eden = idinu Feld, "Wüste, Nimrod und die Thurmbaugeschichte) und be- sonders dessen, was weiterhin durch J ^ (Lokalisirungf der Paradiesesströme, Sintflut u. a.) und vollends durch den Priestercodex dazu gekommen ist. Es ist bedeutsam, dass von diesen babylonischen Weltschöpfungsfragmenten (wie dasselbe auch vom Nimrod-Epos und der Höllen- fahrt der Istar gilt) sich kein einziges sumerisches Stück gefunden hat, was kein Zufall sein kann. Es sind diese Texte ein unbestreitbares Eigenthum der semitischen Be- völkerung Babyloniens, wie ebenso der Ruhm, ein eigent- liches Epos geschaffen zu haben (welchen Namen das ursprünglich circa 3000 Zeilen lange Gedicht von Nimrod in vollem Masse schon der ganzen Anordnung und des Stiles halber verdient), nicht den Sumeriern, die es nur zu kürzeren Götterlegenden, und auch diese erst in der neu- sumerischen, vom Semitismus so sehr beeinflussten Epoche, gebracht haben, sondern ebenfalls den Semiten verbleibt. Nach diesen Sprachproben gehört also das Babylonisch- Assyrische mit dem Kana'anäischen (wozu man phönicisch, hebräisch und moabitisch rechnet), dem Aramäischen (syrisch, sogen, biblisch-chaldäisch, palmyrenisch u. s. w.) und dem Arabischen, zu welch letzterem nicht nur das Sabäische in Südarabien, sondern auch noch das sogen. Äthiopische und Amharische in Abyssinien zu zählen ist, zu einer einzigen enggcschlosscnen Gruppe von Sprachen, welche man seit lange (vgl. darüber Stade's Geschichte des Volkes Israel) die semitischen zu nennen sich gewöhnt
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hatt wie denn auch in Folge dessen die sie redenden Völker in der Ethnologie Semiten heissen.
Unter solchen Umständen ist es nur zu erwarten, dass neben dem constanten Typus auch die Charakterzüge, die den andern Semiten eigen sind, bei den Babyloniern und Assyrem sich wiederfinden oder wenigstens theil- weise erkennen lassen, wenn man dabei auch in Rech- nung ziehen muss, dass die Hebräer noch viel von ihrem ursprünglichen Nomadenthum auch noch in der späteren Zeit an sich hatten, die Aramäer noch in assyrischer Zeit grösstentheils Nomaden waren, die Araber es heute noch sind, während die semitischen Bewohner des Euphrat- und Tigrisgebietes schon von Anfang ihres geschicht- lichen Auftretens an als ein sesshaftes, im Besitz einer hohen Cultur befindliches Volk uns begegnen; denn manche Seiten des ursprünglichen Nationalcharakters werden durch solches Weiterrücken in eine höhere Cultur- stufe verwischt oder verändert, und neue Seiten, den noch länger im Nomadenstand gebliebenen oder ganz in ihm verharrenden Brüdern und Vettern fremd, bilden sich aus.
In der That treffen wir nun bei den Babyloniern und Assyrern so manches, was uns sofort an ihre uns längst aus der Bibel und der Weltgeschichte bekannten Ver- wandten erinnert^ in schönster Bestätigung somit zu den aus Sprache und leiblichem Typus gewonnenen Resul- taten* Es ist sehr schwer, in wenigen Strichen ein zu- treffendes Bild des semitischen Nationalcharakters zu entwerfen« Eduard Meyer in seiner sonst so trefflichen Geschichte des Alterthums sagt: „Grosse Nüchternheit des Denkens, scharfe Beobachtung des Einzelnen, ein be- rechnender, stets auf das Praktische gerichteter Verstand, der die Gebilde der Phantasie durchaus beherrscht und
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jedem f feieren Flüge des Geistes in ungemessene Re- gionen abhold ist, das sind Züge, die den Araber «nd Phönikeft den Hebräer ttnd den Assyrer kennzeichnen'^ ein Urtheil, welches im grossen «nd ganzen zutreffend, aber nicht vollständig ist* Wo dann Meyer auf Einzel- heiten zu sprechen kommt und dies Urtheil des näheren auszuführen Gelegenheit hat, wird er dagegen von so einseitigen, fast persönlicher Antipathie gleichkommenden Anschauungen geleitet, dass man wirklich sagen muss, die Semiten, die doch so eine gfosse, ja eigentlich die Hauptrolle in seinem Werke spielen, sind von ihm darin gründlich verzeichnet worden* Man vergleiche z* B* Auslassungen wie (a* a* O*, S. 209, Anm.): „Dieselbe entsetzliche Nüchternheit, welche den Qorän beherrscht, und durch die er gewirkt hat, liegt auch den Menschen- opfern der Kanaanäer, den religiösen Phrasen der Assyrer und schliesslich auch dem Jahvismus (d. i. der alttestament- lichen Religion) zu Grunde'% oder wo er speciell von der Religion der Semiten redet (a* a* O*, S* 2n unten): „Das Verhältnis der einzelnen Menschen den Gottheiten gegenüber wird nur streng verstandesgemäss und rechnend aufgefasst; ein ethisches oder mystisches Verhältnis zur Gottheit liegt dem Semiten völlig fern'% u* ä*, während gerade umgekehrt ein in dem Mass keinem andern Volk der Erde innewohnender monotheistischer Zug und damit in Zusammenhang eine aus dem Innern kommende Hin- gebung der ganzen Person an die Gottheit ein Haupt- charakterzug aller Semiten (wenn auch bei den Israeliten am meisten entwickelt) gewesen ist* Es ist ja wahr, dass z* B* die Grausamkeit der Assyrer den fremdländischen Kriegsgefangenen gegenüber, die uns so oft empört und uns das ganze Volk unsympathisch macht, zu auffällig
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an g^ewisse Züge des gleichen Fehleirs bei den alten Israeliten erinnert ^ als dass man dabei nicht an eine semitische Charakteranlage zu denken versucht wird, und dennoch sind das nur Ausschreitungen und Auswüchse, die nicht auf Rechnung des Volkscharakters gesetzt werden dürfen — der Semite ist nicht grausam von Haus aus, da ja dies sonst an den religiös seit Jahrtausenden ver- wilderten arabischen Beduinen ganz besonders hervortreten müsste, was thatsächlich nicht der Fall ist — , sondern im Gegentheil: während bei so vielen andern (auch indo- germanischen) Völkern, von denen im Lauf der Geschichte die unerhörtesten Scheusslichkeiten und Gewaltakte zu verzeichnen sind, die reine Lust am Morden und Foltern das Motiv derartiger Handlungen (oder in diesem Fall besser Schandthaten) war, so ist es hier ein nationaler Vorzug, nämlich der treue Eifer um das Heiligste, dessen allerdings abstossender Kehrseite die erwähnten Grausam- keiten entsprungen sind. Nennen wir dieselben mit Recht beklagenswerthe Vorurthcile, aber man muss doch zu- nächst ein Volk danach beurtheilen, wie es im eigenen Hause, im eigenen Lande schaltet und waltet, nicht Fremden gegenüber, die ihm in diesem Falle lediglich als die zu vertilgenden Feinde seines Gottes gelten« Und da treten uns die Semiten, und nicht blos die Israeliten, sondern auch die Babylonier und Assyrer, doch ganz anders entgegen, als sie nach dem Bilde, wie es Eduard Meyer angedeutet, zu sein scheinen.
Hommel bekämpft hier sehr richtig die Anschauung Eduard Meyer's, er untcrlässt es aber, seine eigene Be- hauptung zu beweisen oder wenigstens zu motiviren, nach welcher wir bei den Babyloniern und Assyriern so manches antreffen, was uns an die anderen aus Bibel und Welt-
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gcschichte bekannten Semiten erinnert. Hiefür gibt er aber kein einzigfes Beispiel^ «nd er wäre sicherlich in der grössten Verlegenheit, wenn er dazu aufgefordert wäre*
Ein anderes grossartiges semitisches Volk sind die Phönicier» Auch ihnen wollte der Antisemitismus das semitische Blut absprechen, was um so leichter schien, da nach Genesis \0 die Phönicier zu den Chamiten zu gehören scheinen* Doch dem ist nicht so. Die Kanaa- niter sind sicherlich Semiten, und die Phönicier bilden einen von ihren Zweigen. Jesaias J9, 18 nennt das Hebräische die Sprache Kanaans. Diese Phönicier nun gelten als die Erfinder der Schiff fahrt; Carthago war eine phönicische Colonie; Hannibal ein Semite! Phönicier haben wahrscheinlich Afrika umschifft, sie gründeten zahlreiche Colonien auf Cypern, Rhodus, Greta, Malta, Sicilien, Sardinien, auf der Nordküste von Afrika ' und in Südspanien; die Purpurfärberei, Weberei, Glas- bereitung, den Bergbau, die Verarbeitung der Metalle, die Baukunst haben sie theils erfunden, theils zu hoher Vollendung ausgebildet. Dazu waren sie in mancher Hinsicht die Lehrer der Griechen.
Professor Dr. Hertzberg schreibt in seiner Geschichte von Hellas und Rom (Seite J5)
„In erster Reihe ist da der Einflüsse zu gedenken, welche von den bereits hochentwickelten Culturländern des Morgenlandes auf das fugendliche, reichbegabte, un- endlich bildungsfähige griechische Volk ausgeübt wurden. Die Träger und Vermittler aber dieser Einflüsse waren die Phöniker.
Die Phöniker haben ohne Zweifel längere Jahre hin- durch auf die griechischen Küsten einen sehr starken
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Druck ausgfeübt. Sie haben aber auch, und zwar nicht blos in der Sagfe und Mythologie der Griechen, sehr starke Spuren zurückgelassen. Die Gestalten der Religion des semitischen Handelsvolkes, vor Allen Baal-Melkart, Moloch, die Kabiren haben die Mythenbildung, die Heldensage, zeitweise selbst den Cultus der Griechen in sehr kenntlicher Weise beeinflusst* Nicht minder kennt- lich ist die Abkunft der allerdings durch den griechischen Idealismus völlig umgebildeten und veredelten Aphrodite von der wüsten, blutig-lasciven Aschera- Astarte der Phöniker. Ganz unmittelbar aber auf die politische Ent- wickelung der Altgriechen wirkte bei diesem hochbegabten, zu allen Zeiten seiner Geschichte durch das Beispiel fremder Ueberlegenheit zur Nacheiferung angeregten Volke die überlegene Civilisation, mit welcher die Phö- niker, die um 1200 v. Chr* überall festen Fuss in dem neu entdeckten Gebiete gefasst hatten, unter den Griechen auftraten. Es dauerte natürlich länger, bis die Griechen überall die Technik der Semiten nachzuahmen vermochten. Aber das Vorbild der nautischen Thätigkeit und Tüchtig- keit der sidonischen Männer, und zu Lande die Kunst in der Anlage von Verschanzungen wirkte sehr nach- haltig. Gerade nach Seite der baulichen, der berg- männischen und der Ingenieurtüchtigkeit sind die Phöniker für lange die Lehrmeister der Griechen geworden. Aber sie brachten den Letzteren auch die Schrift und nament- lich das babylonische Mass und Gewicht, überhaupt aber civilisatorische Anregungen jeder Art."
Ernst Curtius schreibt in seiner Epoche machenden „Griechischen Geschichte" I, S. 47:
„Endlich trat die Berührung mit den fremden Völkern ein, und damit beginnt diejenige Entwickelung des religiösen
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Bewüsstseinst welche sich in gewissen Hauptpunkten ge- schichtlich nachweisen lässt; es ist der Uebergang aus dct vothellenischen oder pelasgischcn Periode in die hellenische; es ist die Zeit der allmählichen Entstehung einer griechischen Götterwelt. Denn so wie die pelasgischen Stämme in den Weltverkehr hereingezogen wurden, so wie ihre Lebensbezichungen sich vervielfältigten, glaubten sie auch neuer Götter zu bedürfen, da sie den einheimischen über den Kreis ihrer bisherigen Lebenssphäre hinaus kein Vertrauen schenkten*
Und in dieser Beziehung war nichts von grösserer
.Bedeutung als die Berührung mit den Semiten. Arier
i' und Semiten haben wegen des natürlichen Gegensatzes,
der zwischen ihren Rassen besteht, am folgenreichsten
aufeinander eingewirkt, und zwar waren es die Letzteren,
von denen die Einwirkungen ausgingen, denn sie waren
die in der Cultur vorgeschrittenen; sie waren den sess-
hafteren, stetigeren, schwerfälligeren Ariern gegenüber
i die Beweglicheren, Erregbareren und Erfindungsreicheren.^*
Professor Chwolson schreibt in seinem Standard work
„Die Ssabier und der Ssabismus** II, 336.
„Die Mysterien wurden also auch im Occident in unterirdischen Gebäuden gefeiert. Da dies auch bei unsern Ssabiern der Fall war und da der Name dieser unterirdischen Gebäude oder Cavernen unzweifelhaft ein semitischer ist, so behaupten wir ferner, dass dieser Brauch aus dem Orient nach dem Westen verpflanzt wurde; ja wir glauben sogar aus diesem Umstände mit Sicherheit folgern zu können, dass alle Gottheiten, deren Mysterien in solchen Megären gefeiert wurden, von Semiten in Griechenland eingeführt wurden. Die historischen Folge- rungen, die sich daraus für die ältesten Zustände Griechen-
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lands und für den Einfluss semitischer Elemente auf die erste religiöse und staatliche Entwickelungf der Griechen ziehen lassen, sind von grossem Gewicht» Die ersten Bewohner von Megaris, welche nach der eben angeführten Nachricht des Pausanias den von ihrem König Kar er- bauten Tempel der Demeter Megara nannten, müssen Semiten gewesen sein, da sie diesem Tempel einen se- mitischen Namen beilegten. Diese Semiten haben den Cultus dieser Göttin aus ihrer Heimath mitgebracht; denn sie können ihn nicht in Griechenland vorgefunden haben, da daselbst bei ihrer Ankunft noch Alles Tabula rasa war. Der Vater des Kar, Phoroneus, der Sohn des Inachus, der Beherrscher des Peloponnes, muss also eben- falls ein Semite gewesen sein, und er war es, dem 6'ic Argiver die Erfindung des Feuers zuschrieben (Pausan. II, J9, 5); er war es, der zuerst die zerstreuten Menschen in gemeinschaftliche Wohnorte vereinigt hat, und sein Vater Inachus soll derjenige gewesen sein, der zuerst der Hera geopfert haben soll (ib. J5, 4 f.). Semiten waren CS also, welche die. ersten und noth wendigsten Grund- lagen einer Civilisation und eines staatlichen Lebens in den südlichen Theilen Griechenlands gelegt haben.**
C. S. WoUschläger in seinem „Handbuche der All- gemeinen Literaturgeschichte** schreibt: „Wenn nun aber auch di^ Erfindung der Schreibkunst überhaupt den Se- miten nicht zuzuschreiben ist, so stehen sie doch durch die Erfindung des dem babylonischen Schriftsystem an- gepassten semitischen Alphabets einzig in der Welt da, und es bleibt das grossartige, unvergängliche Verdienst des Volkes der Phönicier, das Alphabet unmittelbar und mittelbar über den grössten Theil der Erde verbreitet zu haben. Vom altsemitischen Alphabet stammen nicht
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nur sämmtlichc semitische Alphabete — vom himjaritisch- äthiopischen wurde dies erst in neoerer Zeit nachgewiesen — , es stammen von ihm das griechische (woraus das koptische geflossen), die italischen Alphabete, ferner das altbaktrische, dann das armenische, das georgische» Doch noch überraschender ist die Thatsache, dass auch die übrigen asiatischen Alphabete, mit Ausnahme der in den chinesischen Culturbereich fallenden, hierher zurückzu- führen sind. Seit den scharfsinnigen Untersuchungen Albrecht Webers war kein Zweifel mehr vorhanden, dass auch der Ursprung der indischen Schrift kein anderer als derselbe ist, welcher den Schriftarten der Semiten und der abendländischen Völker zu Grunde liegt, nämlich der phönizische oder richtiger der babylonische."
Diese gelehrten Autoritäten dürften als Zeugen dafür genügen, wie viel die griechische indogermanische Cultur dem semitischen Volke der Phönicier verdankt* Ihm verdanken die Hellenen die Kenntnis der Schrift, des kanaanäischen Alphabets ; sie haben den kaufmännischen Sinn bei den Griechen geweckt, von den Phöniciern haben die Griechen gelernt bei nächtlicher Seefahrt Norden nach dem Polarstern und damit den Curs zu bestimmen. Wo bleibt nun die antisemitische Behauptung, dass den Semiten der Sinn fehlt für Kunst, technische Erfindungsgabe, Ge- meindeverfassung, Politik, Schiffahrt, Colonisierung? Waren diese Phönicier eine race inferieure?
Eine Riesenblamage des wissenschaftlichen Rassenanti- semitismus fürwahr, diese neuen Entdeckungen und Aus- grabungen! Keine der Behauptungen Renan's — be- treffend den Charakter und das Wesen des Semiten — ist auf den Beinen geblieben; da liegen sie am Boden und werden wohl nie mehr ernst genommen werden.
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Aber ict Antisemitismus ruht nicht und deutelt nun herum an den steinernen Thatsachen der archäologischen Funde. Sie greifen zu einem Kniff, den ich das Weg- fischen benennen möchte. Er besteht darin, dass sie alles Gute, Treffliche, von den Semiten für die Cultur Ge- leistete, als von anderen nicht semitischen Culturvölkern entlehnt, darstellen. Die Verdienste der Chaldäer für die Civilisation sind nun einmal nicht zu leugnen. Was thun die Antisemiten? Sic versuchen glauben zu machen, die Chaldäer seien, obwohl sie eine semitische Sprache redeten, gar keine Semiten gewesen, sondern Indo- gcrmanen. Nun sind aber von allen Semiten gerade die Chaldäer mit den Hebräern am verwandtesten (J. G. Müller Seite 75). Das Nimrodepos und die Höllenfahrt der Istar, wiewohl in semitischer Sprache verfasst, soll nicht ein Werk der Semiten, sondern ihrer Vorgänger, der turanischen Sumerier, und von den Ersteren blos übersetzt worden sein. Der Gedanken- gang ist nämlich folgender: Die Semiten sind uncivilisir- bare Barbaren, culturunfähige Nomaden, die in Kunst, Literatur und Wissenschaft und Politik gar nichts leisten können; nun haben wir aber ein semitisches Epos, eine semitische Kunst, Literatur, Mythologie und Wissen- schaft, geordnete semitische Grossmächte etc. etc. Also waren diese Künstler, Gelehrte, Staatsmänner, Feld- herren etc. etc. gar keine Semiten! Dies ist aber ein wahres Monstrum von einer petitio principii. Nun geht CS aber hier nicht mehr so weiter, seit die Assyriologie bewiesen hat, dass die oben erwähnte Kunst und Lite- ratur und die wissenschaftlichen Leistungen das Verdienst nicht der Sumerier, sondern der Semiten sind. Die Indo- germanen bedauern es lebhaft, dass die ältesten Cultur-
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Völker Babyloniens^ die Sumerier und Accadiert Turanier sind und keine Indogfefmanen, und sie sind naiv gfenugft es offen auszusprechen, so sehr lieben sie ihre eig'ene Rasse! Es ist ihnen aber doch tausend Mal lieber, dass Turanier die Träger dieser alten Cultur sind, als Semiten. So trachten sie daher, wo es nur geht, den Semiten Ver- dienste abzuleugnen und wegzufischen, um sie den Tu- raniern zuzuschwärzen, wenn sie selbst als Indogermanen auch nichts davon profitiren* Helfe, was helfen kann, aber den Semiten soll nirgends Ehre noch Anerkennung noch Ruhm zu Theil werden* So wirthschaftet der Hass gegen das kleine Völkchen der Juden auch auf wissenschaftlichem Gebiete.
Was aber dieser Hass und diese Antipathie im Weg- fischen zu leisten im Stande ist, das beweisen die Ver- suche gewisser Antisemiten, sogar den Moses zu einem Nicht -Juden und zwar zu einem Aegypter umzugiessen.
So hat ein Ingenieur Namens W. Born ein Buch geschrieben unter dem Titel: „Moses kein Jude, alpha- betische Uebersicht der Leistungen des ägyptischen Staatsmannes Moses, Entdeckung des zweiten Gebotes: Uebe Barmherzigkeit." Nach der Darstellung des Autors war Moses der Sohn der Tochter des Pharao, Enkel des Ketzer königs Amenhotep IV. Die Tochter Pharaos hätte ihr uneheliches Kind Moses in ein Kästlein von Rohr gelegt, die ganze Geschichte von der Auf- findung desselben wäre eine inscenirte Comödie gewesen, die Prinzessin habe das Kind als ein Kindlein der Hebräer ausgegeben, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Es genügt jedoch dem Autor noch lange nicht, den Moses den Semiten oder Juden wegzufischen.
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O nein! Ein Indogermane muss et sein, ein Arier. Da dies aber nicht so leicht geht, muss helfen, was da helfen kann. Das Mittel ist radical; der Autor macht sämmtliche Acgypter zu Indogermanen. Der Autor schreibt wörtlich: „Der Rassenunterschied zwi- schen den indogermanischen Aegyptern und den Semiten war zu gross etc.^* Auch erwähnt der Autor, dass Moses diesen Bericht des Exodus selbst geschrieben habe.
Man sollte nun glauben, dass dies die höchste Lei- stung des wissenschaftlichen Antisemitismus ist. Doch weit gefehlt; sie gehen noch viel weiter und haben es frevelhaft versucht, selbst Christus den Herrn zu einem Nicht -Juden und zwar zu einem Indogermanen zu machen, was natürlich nur möglich war durch Ver- leumdung und Preisgebung der Ehre seiner heiligen Mutter. Es ist ein scandalöses Attentat auf den Glauben und die heiligsten Gefühle der Christen und Muslims* Für die Christen war Maria die Mutter Gottes, für die Muslims die Mutter des heiligsten Propheten. Beide Religionen glauben fest an die jungfräuliche Geburt des Heilandes. Selbst Ungläubige, Gelehrte wie Renan, Strauss, Reville und Andere, sogar der christenfeindliche Rabbiner Grätz in seiner Geschichte der Juden haben die Unehelichkeit der Geburt Christi und die Vaterschaft des Pandera als böswillige Sage verworfen, was sie sicherlich nicht in so apodiktischer Form gethan hätten, wenn die Sache auch nur einen Schein von Wahrheit an sich hätte.
Das Eine aber steht fest : germanische Christen wieder- holen die gehässigste Verleumdung eines Talmudjuden, dass Christus der Sohn eines Nicht-Juden war, um ihn dadurch zu dem ihrigen zu machen.
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Man weiss gar nicht, von woher die Semiten einge- wandert sind. Nach Hommel und Ktcmct war ihre ur- spfüngfliche Heimath Armenien, nach Sprenger und Schrader Arabien, nach Guidi der tintere Euphrat» Dass der Typus des reinen Semiten der arabische Nomade — der Beduine — ist, ist möglich, aber nicht gewiss; die Bevölkerung Arabiens besteht auch nicht durchwegs aus Beduinen, sondern aus Beduinen und Städtebewohnern. Die letzteren waren es, die den Islam geschaffen haben, und nicht die Beduinen, deren Islam, wie wir von Palgrave wissen, stets ein äusserst oberflächlicher, ja fraglicher ge- wesen und heute noch ist. Als Renan im Jahre J855 jene Darstellung schrieb, in welcher er den arabischen Beduinen zum Prototyp der semitischen Rasse machte, war Arabien beinahe noch ganz unbekannt. Die grossen berühmten Reisen von Burton, Maltzan, Snook Hugronje, Palgrave waren noch nicht gemacht, und man konnte sich damals einbilden, dass die grosse Halbinsel fast durch- wegs von nomadischen Beduinen bewohnt sei. Das ist aber nicht richtig. Der berühmte ArabienreisendeW. Gif ford Palgrave in seinem Artikel „Arabia** in der Encyclopaedia Britannica bemerkt, dass die Städtebewohner ungefähr 6 Siebentel der Gesammtbevölkerung Arabiens ausmachen. Dann bleibt also bloss i Siebentel für die Beduinen übrig, und trotzdem werden sie von den Antisemiten als der Typus nicht nur des Arabers, sondern der ganzen semi- tischen Rasse dargestellt! Ueber die von den Antisemiten aufgestellte Behauptung, dass Beduinen und Räuber so ziemlich gleichbedeutend ist, belehrt uns W. Gifford Palgrave weiter: „Diese Ansicht ist ungerecht. Ihrem Berufe nach und in ihrem gewöhnlichen Lebenslauf sind die Beduinen blos Hirten und Viehzüchter, ihre Kämpfe
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untereinander, ihre Angriffe und Plünderungen von Reisenden und Caravanen sind Ausnahmen von der Regel und übrigens selten blutig/* Das schändliche Laster der Päderastie, bei den indogermanischen Persem so häufig, kommt beim semitischen Araber nicht vor* Die griechische und lesbische Liebe sind nach indo- germanischen Ländern benannt!
Unter allen Mohammedanern gibt es gerade bei den semitischen Arabern am wenigsten Laster und Verkommen- heit. Dr. Reinhardt bemerkt in seiner Grammatik des Oman- und Zanzibar-Dialectes, dass in Oman Eunuchen- thum und Haremsverkommenheit unbekannt ist, dagegen Fehden und Wegelagerei an der Tagesordnung. Er nennt dies ein Stück Mittelalter und denkt dabei sicher nicht an das arabische Mittelalter. Lady Anne Blunt, die mit ihrem Gatten im Jahre J878 eine Reise nach dem Nedjd, der Urheimath der arabischen Rasse, unternahm, schreibt Seite 270 des ersten Bandes ihres Werkes: Ibn Raschid erhält die ganze Wüste im vollständigsten Frieden. Im ganzen Distrikt des Djebel Shammar, der die wildesten und zum Theile von den wildesten Menschen bewohnten Wüsten umfasst, kann ein Reisender ohne Waffen und Eskorte ebenso unbehelligt reisen, als auf einer Chaussee in England* Auf jeder Strasse in Djebel Shammar be- gegnet man Städtern, die auf ihren Eseln dahertraben oder zu Fuss gehen allein, ohne Gewehr, noch Lanze und ihr ganzes Vermögen bei sich tragen* Fragt man sie aus über die Gefahren des Weges, so werden sie ant- worten: „Sind wir denn hier nicht im Lande Ibn Raschid's? Kein noch so vollkommenes System von Patrouillen, Forts und Eskorten könnte ein derartiges Resultat er- zielen*** Und dieser Ibn Raschid ist ein Beduine* Lady
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Blunt bemerkt, dass es zwar für europäische Begfriffe von Politik wie ein Widerspruch klingt, die höchste Gewalt im Lande in den Händen der Beduinen zu wissen. Aber in Arabien sind dies die einzigen Hände, die damit um- gehen können* Die Stadt kann die Wüste nicht bändigen; will man also im Frieden leben, so muss die Wüste die Städte bändigen. Karsten Niebuhr sagt in seiner Be- schreibung von Arabien, die anno J772 in Kopenhagen erschien: „Andere europäische Reisende wollen die Araber als Heuchler, Betrüger und Räuber gefunden haben. Ich habe aber keine Ursache, mich darüber zu beschweret^. Man trifft in Arabien schlechte Leute, aber auch hier, sowie in Europa und anderen Gegenden der Welt viel rechtschaffene brave Männer an.^* Er sagt, sie seien ernst, wenig zanksüchtig, reinlicher als die Europäer und in Südarabien von Natur religiös, tolerant, gastfreundlich und höflicher, als die übrigen Mohammedaner.
Die Antisemiten lieben es, die Leistungen der Araber zu verkleinern, ja als verächtlich und als geringwerthig darzustellen. Ein Jahr, nachdem Renan seine mehrfach erwähnte Beschreibung der Semiten veröffentlicht, er- schien in Wien das grosse Werk Hammer-Purgstall's „Die Literaturgeschichte der Araber^% 7 grosse schwere Bände. Die arabische Literatur ist eine der bedeutend- sten und reichhaltigsten der ganzen Welt, ihre Sprache eine der grossartigsten Geistesprodukte des Menschenge- schlechtes.
Was die Stellung der Frau bei den Semiten und namentlich bei den Arabern betrifft, so hat Alfred von Kremer, nach Hommel^s Meinung der beste Kenner des altislamischen Lebens, darüber Folgendes geschrieben:
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So war denn die sociale Stellung der Frau im An- beg;inne des Islams eine durchaus würdiget selbständige und hochgeachtete^ ja es herrschte durch einige Zeit eine ritterliche Verehrung des schönen Geschlechtes^ man be- sang die Frauen in liebeglühenden Gedichten und ver- klärte ihr Bild mit dem ganzen Zauber der Poesie* In den Erzählungen aus dem alten Sagenkreise der nord- arabischen Stämme galt nichts für edler^ ruhmvoller und nachahmungswerther, als wenn ein Ritter mit Verach- tung jeder Gefahr, selbst mit Aufopferung des eigenen Lebens die Frauen vor Schmach und Entführung schützt, und Antar, der Held der nordarabischen Sage, endet auf diese Art sein Leben ohne Furcht und Tadel, indem er bei einem Ueberfalle die Frauen seines Stammes dadurch vor Entehrung rettet, dass er allein der ganzen feindlichen Schaar gegenüber Stand hält und den Rückzug der Seinen deckt. Tödtlich getroffen stellt er sich auf seinem Streit- ross am Eingange des Hohlweges auf, stützt sich auf seinen Speer und gibt in\ dieser Stellung den Geist auf, während die Frauen unterdessen glücklich zum Lager- platze des Stammes gelangen, die Feinde aber es nicht wagen, sich ihm zu nähern* Erst als der Leichnam bei einer Bewegung des Rosses herabstürzt, werden sie ge- wahr, wie er selbst noch im Tode die Seinen beschirmte* Eine Frau zu verletzen oder gar zu tödten, galt desshalb immer als die schmachvollste, ehrloseste That, und als das Weib eines Empörers auf Befehl des Ab- dallah Ibn Zobair, des Gegenchalifen von Mekka, ge- tödtet worden war, spricht ein Dichter hierüber seine Entrüstung aus und sagt zum Schlüsse: Uns Männern ist es bestimmt, zu tödten und getödtet zu werden, den Frauen aber die Schleppe zu schleifen! ******
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Das zweifelhafte Verdienst ^ zuerst die hohe Stellung des Weibes angegriffen und herabgedrückt zu haben, ge- bührt in erster Reihe den griesgrämigen und fanatischen Theologen des Islams. Nicht etwa, dass sie für weib- liche Reize unempfänglich gewesen wären — sie hatten ihr Harem gewöhnlich reich besetzt — aber ausserhalb desselben gaben sie sich gerne den Anschein einer gründ- lichen Verachtung für irdische Genüsse und einer frommen Entrüstung über die Sündhaftigkeit der "Welt, die Leicht- fertigkeit des schönen Geschlechtes* Deshalb hat schon einer der ältesten Traditionisten mit offenbarer Vorliebe mehrere Ueberlieferungen vom Propheten gesammelt, welche dahin lauten, dass die Weiber grösstentheils in die Hölle kommen* Der fromme Herr vergass offenbar hiebei, dass Mohammed selbst das Paradies mit Hurys von unvergänglicher Schönheit, Jugend und Jungfräulich- keit bevölkert
Wie dem immer sei: auch andere Ursachen, die wir später besprechen werden, führten bald einen moralischen und physischen Verfall der Rasse herbei* Solche edle Frauengestalten, wie wir sie früher kennen gelernt haben, wurden immer seltener* Zobaida, die kluge Gattin Harun Rashyds, war die letzte Vertreterin dieser Classe von hochgebornen, edlen und eigenwilligen Frauen der altarabischen Aristokratie
Bald jedoch werden solche Frauen weit seltener, und zwar nicht blos deshalb, weil die alten Adelsgeschlechter in dem hochfluthendem Strome einer bewegten Zeit unter- gingen, sondern auch, weil man solche Frauen nicht mehr suchte. Deshalb starben sie aus
Es trat nämlich an die Stelle der standesgemässen Ehe, auf die man früher so hohen Werth gelegt hatte.
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die Maitressenwirthschaft und die Alleinhcffschaft der Hetären
Soviel lässt sich sagfen^ dass diese Umgfestaltung in der socialen Stellung der Frau in dem Zeiträume vom Ende der Omajjadenherrschaft bis auf Harun Rashyd sich vollzogen hätte. Von nun an bewachen Eunuchen das Harem, die legitime Frau wird nun in den höheren Ständen gewöhnlich vernachlässigt, und statt ihr herr- schen am Hofe die Sängerinnen, Odalisken und die Eunuchen
Erst mit den Omajjaden-Chalifen kam die abscheu- liche Mode der Verwendung der Eunuchen zur Harems- wache auf, und zwar als Nachahmung des byzan- tinischen Hofes oder der Ueppigkeit der persischen Könige. In der That wissen wir auch, dass der Handel mit Eunuchen ganz in den Händen byzantinischer Sklavenhändler lag
Der Charakter des arabischen Weibes zeigt eine glühende, leidenschaftliche Erregbarkeit und eine Tiefe der Empfindung, die es zur edelsten Entsagung und Selbst- aufopferung befähigt
Nur die Araber (Semiten!) haben solche gelehrte Frauen aufzuweisen, nicht die Perser und Türken (Nicht-Semiten), bei denen Damen sich höchstens auf poetischem Gebiete versuchten. Sie übten sogar richter- liche Functionen aus.
Zu den schädlichsten Folgen des Haremlebens jener Zeiten gehört aber ein Laster, das mehr als alles Andere zu dem tiefen Verfall der Sitten, der geistigen und mo- ralischen Verkümmerung des Orients und der Auflösung der Familienbande beigetragen hat
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Der Verfasser des Kitäb almowashshä sagt Fol. J02: ftlch kenne keinen der älteren arabischen Dichter, der in seinen Gedichten auf etwas Anderes als auf die Verherr- lichungf der Frauen dachte
Erst durch die näheren Beziehungen zu den Persern und besonders seitdem mit Beginn der Herrschaft der Abbasiden persische Sitten und Unsitten in den höheren Classen der arabischen Gesellschaft mehr und mehr sich verbreiteten, griffen auch die widernatürlichen Laster mehr und mehr um sich, denn schon im Alterthum er- freuten sich die Perser und Meder einer schmachvollen Berühmtheit in diesem Punkte. . ♦ ♦ .
In den ersten Zeiten des Islams war man in dieser Hinsicht viel strenger*** . ♦ . ♦
Es ist somit unzweifelhaft, dass es Arier (Perser und Griechen) waren, welche die ursprünglich reineren Sitten der nomadischen semitischen Araber vergiftet haben.
Und was schliesslich den arg verlästerten Islam, diese Ricsenthat semitischen Geistes, anbelangt, so müsste man ja ein Buch schreiben, wollte man alle seine Vorzüge und Vortrefflichkeiten, sowie seine Schattenseiten dar- stellen. Hier genüge ein Ausspruch von Dr. Otto Pautz. Derselbe schreibt in seinem Werke „Mohammeds Lehre von der Offenbarung" Seite 3:
„Fürwahr, es hiesse das Walten Gottes in der Ge- sehichte leugnen, wollten wir den grossartigen Fortschritt des Islam gegenüber dem altarabischen Heidenthum, da wir ihn nicht auf dämonische Einwirkungen zurück- führen können, als Wirkung natürlicher Ursachen be- trachten, die es nach unserer innersten Ueberzeugung auf diesem Gebiete überhaupt nicht giebt. Die Läuterung
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der Gottes Vorstellung;, die Aufrichtung eines gfeordneten Gemeinwesens an Stelle der blutigfen und gfegenseitigf auf- reibenden Stammfehde, die Sicherung des Besitzes, Rege- lung der Ehe, milde Behandlung der Sklaven, Barm- herzigkeit gegen den Gast, gegen Elende und Arme, endlich die Abschaffung barbarischer Gewohnheiten, wie des Lebendigbegrabens der neugeborenen Mädchen — das sind die Erfolge, auf welche Mohammed am Ende seiner Wirksamkeit zurückblicken konnte/*
Wenn also gelehrte Antisemiten, die Juden mit den Arabern vergleichend und ihre nahe Verwandtschaft er- kennend, dieselbe als etwas Ungünstiges, Unvortheil- haftes. Unerwünschtes, gewissermassen als ein Pech, ein Malheur darstellen, so irren sie sich gewaltig. Ich gra- tulire den Juden aus ganzem Herzen zu ihrer sehr be- neidenswerthen angeblichen Verwandtschaft mit der grossen edlen, herrlichen, begabten arabischen Rasse» Die Genesis lässt Jahwe zu Abraham sprechen anlässlich der Ver- treibung der Hagar und des Ismael Genesis 2J, J3: „Aber auch (Ismael) den Sohn der Magd (Hagar) will ich zu einem grossen Volke machen, weil er dein Same ist.**
Und sind nicht etwa auch die südlichsten und schwärzesten von allen Semiten zu bewundern, nämlich die Abyssinier, die seit i V2 Jahrtausenden in ihren Bergen den christlichen Glauben siegreich in unzähligen Kämpfen bewahrt und die noch vor wenigen Jahren die arischen Italiener geprügelt haben ä plate couture?
Zum Schlüsse noch ein Wort des mehrfach citirten gelehrten und, wie wir gesehen haben, nicht judenfreund- lichen Professors Hommel. Er schreibt in seinem "Werke „Semitische Völker und Sprachen**:
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ffich. fragfe nun zum Schlüss^ ob ein Volksstamm, der im Alterthum einer der ersten und beinahe alleiniger Träger der Kultur, der von Anfang an der alleinige Träger der reinen religiösen Idee, nämlich des Mono- theismus war, der ferner im Mittelalter die ursprünglich zum grossen Theil entweder auf seinen Schultern ruhende oder doch zeitlich der seinigen erst gefolgte indoger- manische Bildung wieder auf ein halbes Jahrtausend an sich nahm und so dem Abendland gerettet hat, der noch heut in Afrika und Asien den unkultivirten Völkern gegenüber eine relativ immer hoch zu nennende Civilisation, freilich jetzt innerlich faul und zersetzt, repräsentirt und in Europa in den wenn auch nicht sprachlich, so doch als Volk uns Indogermanen eng geschlossen gegenüber- stehenden Juden mit schlauer Berechnung und der ihnen eigenthümlichen Zudringlichkeit zwei Hauptfactoren des socialen Lebens des 19» Jahrhunderts, das Geld und die Presse (ob zu unserm wie auch ihrem Nutzen, übergehe ich hier), fast ganz in seine Gewalt bekommen — ich frage, ob ein solcher Volksstamm ein niederstehender, eine „race inferieure*^ genannt zu werden verdient? Nach Licht- wie Schattenseiten, auf keinen Fall, — Oder wollen Sie Völker, die wie die Assyrer im Alterthum grosse Kriege geführt und halb Asien unter ihre Bot- mässigkeit gebracht, wobei sie z. B. die kleinasiatischen und durch diese dann die europäischen Griechen ihre Kunstformen kennen und nachahmen lehrten, — Völker, die, wie die Phönicier, von den Säulen des Herkules und dem silberreichen Tartessos bis Indien ihre Handels- flaggen wehen liessen, die ferner den Griechen von ihren Colonien aus auch in geistiger Beziehung vielleicht mehr, als wir jetzt noch ahnen, übermittelt (vgl. nur die Buch-
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stabcnschfift und den Kult einiger uralten sumerischen Gottheiten wie der Istar- Aphrodite, in deren Gefolge aber wahrscheinlich noch eine Menge andere Kulturentlehnungen sich befanden), wollen Sie solche als unbegabt hinstellen? Wollen Sie Völker, die schon lang vor den Griechen Grosses in der Kunst (besonders in Weberei, Skulptur und Architektonik) geleistet, ja von denen hierin, wie sich jetzt immer mehr nachweisen lässt, sogar die Griechen, dies Volk der Kunst, manches entlehnt, — Völker, die noch bevor man Homers Gesänge recitirte, aus dem sumerischen Götterkultus einen Cyklus epischer Gedichte wie die assyrischen Izdubar- und Istarlegenden geschaffen, die, vergleichen Sie die hebräische Dichtung, in lyrischer und didactischer Poesie so Schönes, Originelles, Gross- artiges und Heiliges hervorgebracht wie kein anderes Volk des Alterthums, die wie die Araber ohne jeglichen fremden Einfluss schon in der vorislamischen Zeit für ihre Volks- poesie sich eine Metrik geschaffen, welche vollkommen ebenbürtig neben der altklassischen des Abendlandes steht, wollen Sie solchen eine höhere Begabung absprechen? Völkern, bei denen wir, wie bei den Assyrern, die älteste Grammatik und Lexicographie der Welt und zwar aus ihrem eigenen Genius entstehen und sich ausbilden sehen, und welche in aridern Wissenschaften, wie in der Mathe- matik, insbesondere Astronomie, die Lehrer sämmt- licher Völker des Alterthums gewesen? Oder, wenn wir in spätere Zeit uns versetzen und in Spanien die herr- lichen jüdischen Lieder eines Juda Halcvy, wie die uns durch Schack in so reizendem Gewand zugänglich ge- machten andalusisch- und sicilisch- arabischen Poesien erklingen hören, wenn wir ebenda eintreten in die Säulen- hallen und den Löwenhof der Alhambra, wie in Indien
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in die Prachtbauten dct Muhammedaner zu Delhi, wenn wir sehen, was die Arabei* in der Wissenschaft geleistet, so in der Philosophie, wo z* B» die Deductionen unserer Philosophen von Scotus Erigena bis Kant und Schelling nach V» Kremers Urtheil nicht klarer sind als die der islamischen Denker, während bei einem anderen Zweig der arabischen Wissenschaft, nämlich dem bewunderungs- würdigen System der arabischen Nationalgrammatik und Lexicographie noch heute jeder Semitist in die Schule gehen muss und es mit dem Gefühl verlässt, dass weder Griechen noch Germanen jemals so fein ihre eigene oder eine andere Sprache durchforscht und dass zumal unsere klassische Philologie mit ihrer Conjecturenjägerei und engherzigen, nur auf den Buchstaben blickenden Inter- pretationsweise vor der Methode der heutigen europäisch- arabischen Philologie, welche auf die wissenschaftlichen Schulen der Araber gegründet und durch die semitische Sprachvergleichung vertieft ist, sich wohl neigen dürfte, statt auf sie als auf unnöthige Liebhaberei herabzusehen, — und wenn wir endlich uns daran erinnern, wie das Schulwesen fast zu allen Zeiten und zum Theil noch jetzt bei den Semiten eine bei weitem höhere und wichtigere Rolle als bei den Ariern gespielt, wie überhaupt auf die Ausbildung des Geistes der Semite von jeher grosses Gewicht gelegt, so müssen wir doch bewundernd an- erkennen, welche Aufgabe die Semiten in der Kultur- und Weltgeschichte zu vollbringen hatten und wie sie dieselbe erfüllt: an Geduld, Ausdauer und Eifer weit über den Indogermanen stehend, an Originalität und Vielseitigkeit allerdings von ihnen übertroffen, aber doch voll Begabung (nur ganz andrer Art als die der arischen Völker) waren sie, was nie zu vergessen ist, ihre Vor-
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ginget und Wcgbahncr in der geistigen wie materiellen Kultur^ ganz abgesehen von ihrer hohen religionsgeschicht- lichen Mission, worin sie mit keinem andern Volksstamm zu vergleichen sind/*
Wie sehr sich Hommel hier irrt in dem Passus, welcher von den Juden handelt, werde ich gleich beweisen.
Der Vollständigkeit halber sei hier noch auf den Versuch einer Charakteristik der „semitischen Völker** des bereits erwähnten Professors D. Chwolson verwiesen, eine interessante kleine Schrift von 62 Seiten, in welcher der gelehrte Autor den Versuch macht, bei den semiti- schen Völkern gemeinsame Charaktereigenschaften im Gegensätze zu den Ariern zu entdecken» Der geehrte Leser wird es wohl entschuldigen, wenn ich auf diese Schrift nicht weiter eingehe, da Chwolson selbst ein Jude war und, wie Hommel behauptet, mit seiner Schrift die semitische Rasse bloss zu verherrlichen bestrebt war. Da Chwolsons Schrift im Jahre 1872 erschien, also zu einer Zeit, wo die Assyriolo gie noch in den Windeln lag, so können wir dieses Werkchen getrost übergehen.
Dr. Felix von Luschan, Docent an der Berliner Universität, schreibt: „Und nun bitte ich, zum Schlüsse noch eine einzige Frage aufwerfen zu dürfen — die nach den ethischen Eigenschaften der Juden. Renan hat die Semiten einmal als eine Race inferieure bezeichnet, und dieser Ausspruch, den jetzt vielleicht Niemand mehr bedauert, als der grosse und verdiente Gelehrte selbst, der ihn einst gethan, hat so viele Anhänger gefunden, dass ich es mir nicht versagen kann, denselben hier zu beleuchten. Und da darf ich wohl erst ganz bescheiden mit Hommel daran erinnern, wie diese inferiore Rasse
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schon lange vor Homer epische Dichtungen gehabt hat^ wie sie ein fertiges Keilschriftsystem besessen und wie sie grossartige Paläste mit kunstvollen, heute noch an- gestaunten Bildwerken zu einer Zeit schon geschaffen hat, in der wir Deutsche noch in Höhlen und Erdlöchern gewohnt haben und kaum noch gelernt hatten, den Feuerstein zu Werkzeugen zu bearbeiten. Ebenso möchte ich bescheiden daran erinnern, dass unsere christ- liche Religion auf semitischem Boden entstanden ist und dass jene inferiore Rasse ein Jahrtausend früher die Buchstabenschrift erfunden hat, aus der sich nachher alle europäischen Alphabete entwickelt haben, und dass ein Jahrtausend später die arabische Wissenschaft in Spanien zu so hoher Blüthe gelangt ist, dass man aus ganz Europa dahin zusammenströmte, um Mathematik und Astronomie, Medicin und Philosophie, Geographie und Geschichte an der Quelle zu studiren*
So braucht man also nur an Babylon und Ninive zu denken, an Tyrus und Karthago, an Bagdad und Granada, um die culturhistorische Bedeutung der Semiten in den drei grossen Zeiträumen ihrer Geschichte zu er- kennen. Aber auch von ihrer politischen und militä- rischen Kraft hat diese inferiore Rasse Proben abgelegt, die nicht ganz unansehnlich sind: Die assyrischen Könige haben ein Weltreich geschaffen, gefestigt und erhalten, wie vor ihnen keines je bestanden, und müssen als die ersten militärischen Organisatoren angesehen wer- den, denen wir in der Geschichte begegnen; vor Kar- thago hat Rom gezittert, und der Sturmlauf, in dem später der Islam die Mittelländer eroberte und ein neues Weltreich gründete, ist auch keine eben verächtliche Leistung*
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Die Semiten waren hochcivilfsift zu einet Zeit^ als die Indogcrmancn noch ganz einfach Wilde waren» Babylon ist nicht nur das Mutterland der babylonisch- assyrischen oder der späteren semitischen oder der grie- chischen und römischen Cultur^ es ist das Mutterland der ganzen abendländischen^ also unserer Cultur überhaupt*
Es gibt nur noch zwei Civilisationent die den Namen Cultur verdienen, ausser der babylonischen, und das ist die indische und die chinesische. Diese babylonische Cultur geht sehr weit, sehr tief.
Im Jahre J886 übersetzte der protestantische Pastor Cerisier ein ganz bitterböses englisches Buch, bitterbös nämlich für die Katholiken; denn der Verfasser selbst ist ein frommgläubiger Protestant. Das Buch führt den Titel: ,tLes deux Babylones" und hat zum Verfasser A. Hislop.
Der Autor versucht in seinem gelehrten, 490 Seiten starken, mit zahlreichen Illustrationen versehenen Werke den Nachweis zu liefern, dass der wesentliche Charakter der römischen Kirche, die Hauptobjecte seines Cultus, ihre Feste, Lehre, Disciplin, Riten, Ceremonien, Priester- hierarchie, Orden, ja selbst der Mariencult und der Cult des Jesukindleins und des göttlichen Herzens, die Pro- cessionen, Reliquien Verehrung, Sakramente, Lampen, Kerzen, Kreuzzeichen, Rosenkranz, Fegefeuer, Symbole, Cultusgeräthe sammt und sonders aus der babylonischen Cultur und Religion entlehnt sind.
Ich hüte mich, auf dieses heikle Thema weiter ein- zugehen, sondern constatire bloss diese merkwürdige, ja entsetzliche Doctrin. Gerade die ungläubigen und aufgeklärten Antisemiten mögen darüber besonders nach- denken. Ich schreie gerne Anathema mit.
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Der antisemitische Judenhass^ der nicht nur Israel verfolgt und hetzt, sondern auch Israels entfernteste Verwandtet ja Wahlverwandte, hat jetzt noch die Be- hauptung zur Disposition, dass die Semiten selbst nichts producirt und dass die babylonische, phönicische, ara- bische Cultur von diesen semitischen anderen Nationen entlehnt sei, bei denen sie dieselbe vorgefunden. Natür- lich lässt sich das leicht behaupten. Ich habe bereits früher darauf hingewiesen, dass die semitischen Babylonier von den Sumeriern viele Götter entlehnten. Die Religion der Sumerier war aber bloss Schamanismus. Die Semiten haben etwas daraus gemacht, geschaffen, nämlich diese ganze riesengrosse babylonische Cultur. Was würden die Germanen dazu sagen, wenn ihnen Einer bemerken wollte: Ihr seid nichts werth, denn euere ganze Cultur und Civilisation ist den Römern und dem nicht auf germanischem, sondern auf semitischem Boden ent- sprossenen Christenthum entnommen, daher seid ihr eigentlich Barbaren und im Grunde ganz dieselben wie euere Vorväter, die den lieben Göttern in aller Form und genau nach vorgeschriebenem Ritus die armen römischen Gefangenen geschlachtet, rituell geschlachtet haben. Euere ganze ritterlich romantische Dichtung schöpft, wie euer Landsmann Johann Scheer sich aus- drückt, ihre Formen aus der arabischen Poesie in Spanien. Ihr seid daher doppelt semitisirt. Scheer behauptet, dass die Sagen von Artus, dem heiligen Gral und Tristan und Isolde keltisch -bretonischen Ursprungs sind. Sogar im Nibelungenlied sind christliche Gedanken zum Ausdruck gebracht. Der Heliand ist schon ganz und gar ein christliches Kunstproduct, ihr habt nichts als die heidnische Edda; nur die ist echt germanisch.
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Aufbäumen würde sich, und mit Recht, jeder Ger- mane gegen eine derartige Beurtheilung. Aber dem Semiten gegenüber ist jede Ungerechtigkeit erlaubt. Adversus hostem aeterna auctoritas.
Die Semiten sind und bleiben dem Wesen nach Nomaden, ist ein Dogma des wissenschaftlichen Anti- semitismus. Daher ihre Inferiorität. Das begreife ich nun gar nicht, wie man Semitenthum und Nomaden- thum in Verbindung bringen kann. Wären alle Semiten Nomaden und gäbe es keine nicht-nomadischen Semiten, so wäre ein Zusammenhang da; wären alle Nomaden Semiten und gäbe es keine nicht-semitischen Nomaden, dann wäre ebenfalls ein Zusammenhang zwischen den beiden Begriffen Nomaden- und Semitenthum. Nun aber gibt es massenhaft Nomaden, die keine Semiten, und massenhaft Semiten, die keine Nomaden sind, so dass ich keinen Connex zwischen den beiden Begriffen heraustüfteln kann. Die civilisirtesten semitischen Völker waren keine Nomaden, wenigstens nicht in geschicht- licher Zeit. Das Prototyp des Nomadismus sind die Zigeuner, die selbst in Europa trotz aller Bemühungen der Regierungen, trotz aller ihnen für den Fall ihrer Ansässigmachung gebotenen Vortheile dennoch immer Nomaden geblieben sind. Und diese Zigeuner sind Indogermanen, wenn auf die Sprache als Beweis für die Rasse das Geringste zu geben wäre; die Zigeunersprache ist eine indogermanische, mit dem heutigen Hindi ver- wandte und zwar nahe verwandte Sprache. Auch sei die Frage gestattet, ob es nie eine Zeit gegeben hat, in welcher die Germanen und andere, heute ansässige und Ackerbau treibende Völker Nomaden waren? Waren nicht die Türken und die Magyaren einmal Nomaden?
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Und ändert sich nicht der Charakter der Nomaden^ den man «ns immer als etwas Unveränderliches vorreiten will, gar sehr im Laufe der Zeiten? Was hat nicht Büdha's sanfte, friedliche Lehre aus dem entsetzlich grau- samen, räuberischen Nomadenvolke der Mongolen ge- macht? Ein friedliches, sanftmüthiges Volk von Hirten. Gibt es einen Nomadentypus überhaupt, was den Cha- rakter anbelangt? Wer will das Kunststück wagen, Mongolen, Beduinen, Tuaregs und Esquimaux unter eine begriffliche Haube unterzubringen? Gerade tura- nische Nomaden haben grosse, kriegerische, langlebige Staaten gegründet, denen auch Civilisation nicht ab gesprochen werden kann. Ich erwähne hier bloss das osmanische Kaiserreich, das osttürkische grossmogulische Reich in Indien, die Mandschus in China, die Magyaren in Ungarn, die Uralaltaier in Grossrussland. Aber nein; weil ein Theil eines Theiles der heutigen Semiten, nämlich die Beduinen, Nomaden sind und andere Semiten es vor Olims Zeiten auch waren, darum sollen die Semiten von Natur Nomaden sein! Dass die Ger- manen vom Beginne ihres Auftretens in Europa, also von der Zeit der Invasionen der Cimbern und Teutonen an, circa JOO v. Ch. bis zu ihrer definitiven Ansässig- werdung nach der Völkerwanderung ebenfalls herum- gewandert sind, dass die Araber in Spanien, Indien, Persien, im Sunda bei der ersten dargebotenen Gelegen- heit vom Nomadenthum zur Ansässigkeit übergegangen sind und gerne, verblüfft die antisemitische Theorie nicht im Geringsten. Denn sie hat noch eine letzte Zufluchtsstelle, einen Schlupfwinkel übrig; sie sagt näm- lich: Wenn die Semiten - Nomaden etwas leisten, so geschieht es in Folge von Vermischung mit Nicht-
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nomadcn-Nichtsemitem Vortrefflich! Die ,,echten Sc- miten'% also die Nomaden, die doch in Wüsten ond Steppen hausen, leisten im derartigen Terrain nichts, ond das wird ihnen zuerst zum Vorwurf gemacht. Ja warum denn? Was können sie denn dort überhaupt, auch mit bestem Willen leisten? Selbstverständlich ver- mischten sie sich, sobald sie aus ihren Wüsten heraus- kamen, mit den übrigen Völkern, insbesondere in Folge der Polygamie. Wenn da nun eine tüchtige Progenitur herausgekommen ist, so sehe ich nicht ein, warum deren Tüchtigkeit nicht ebenso auf Rechnung des semi- tischen Theiles, als auf den des nichtsemitischen gesetzt werden kann.
Eine edle Araberin heirathete einst einen Araber niederer Herkunft. Hamyda, so hiess die Dame, sagte in einem Spottgedicht auf ihren Mann: „Ich bin eine arabische Vollblutsstute, der Sprosse edler Mutter, aber mein Mann ist ein Maulesel ; bringe ich ein edles Füllen zur Welt, wisst, es ist von mir, ist es aber eine Miss- geburt, so wisst, es ist von ihm entsprungen.*^ Gerade so gescheit reden die Antisemiten über die Kreuzungen zwischen Semiten und Ariern. Ist es was Rechtes, so ist es nicht vom semitischen Theile, sondern vom arischen. In Spanien hausten die Westgothen bis zur arabischen ; Eroberung. Von wem stammt wohl die maurische ; Cultur; von den semitischen Arabern oder von den ger- ' manischen Westgothen? Ich bitte meine verehrten Leser arischer Rasse, sich nur immer vor Augen zu halten, was ihre Nationen heute wären, wenn sie nicht mit Rom, Bysanz und dem Christenthum in Berührung ge- kommen wären, und von diesem einzig richtigen, einzig gerechten und vernünftigen Standpunkte aus die Be-
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hattptungf zu beurthcilen, der Semite könne nur ent- lehnen^ aber selbst nichts schaffen* Durch das hier Gesagte widerlegt sich eines der stärksten Argumente der Antisemiten zu Gunsten ihrer Theorie von der Minderwerthigkeit der semitischen Rasse ganz von selbst* Dieses Argument lautet wie folgt:
Die sogenannte arabische Cultur ist nicht etwas Ur- sprünglichest sondern entlehnt, wie uns das Beispiel von Spanien zeigt* Warum konnten es denn dort die Araber zu einet Cultur bringen, während sie in den afrikanischen Küstenländern Tripolis, Tunis, besonders in Marokko, welches von Spanien nur durch eine dünne Meerenge getrennt ist, gar nichts geleistet haben? Offenbar, sagen die Antisemiten, entstammt daher die spanisch-arabische Cultur den christlich-germanischen (westgothischen) und romanischen Völkern, nicht aber den semitischen. Diese Schlussfolgerung erscheint auf den ersten Blick sehr ein- leuchtend. Bei näherer Betrachtung ist sie jedoch un- haltbar, denn erstens gab es auch in Nordafrika das germanische Reich der Vandalen, und es entwickelte sich dort keine Cultur, nachdem die Araber das Land in Be- sitz genommen hatten; zweitens stand die Cultur der germanischen Völker zur Zeit der Eroberung Spaniens durch die Araber bekanntlich auf einem sehr tiefen Ni- veau* Ein Vergleich zwischen der arabischen Cultur jener Zeit und der christlich-germanischen derselben Epoche, fällt für die letztere ausserordentlich ungünstig aus* Man denke nur an die Zeit der Merovinger. Eine sehr interessante Parallele zwischen diesen beiden Cul- turen hat J* W. Draper geliefert in seinem be- kannten "Werke: „Die Conflicte der Wissenschaft und der Religion.*'
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Es ist sonnenklar^ dass das Verdienst den semitischen Arabern gebührt und nicht den indogermanischen Christen Wir sehen aus dieser Betrachtung die grossen Vortheile, die für eine jede Civilisation durch den Verkehr, den Handelt den Gedankenaustausch und die Mischehen ent- stehen. Die Araber konnten in ihrer glühenden, zum grössten Theil sandigen Halbinsel nur wenig leisten. Auf einer ebenso niedrigen, vielleicht noch niedrigeren Stufe standen dereinst die Germanen in ihren Wäldern und Gauen*
Sobald 6'ic Germanen aber mit Völkern anderer Cul- turkreise in Berührung kamen, erblühte Cultur und Ci- vilisation. Gerade dasselbe war mit den Arabern der Fall. Sie waren fast überall das befruchtende Princip. Das Yang der Chinesen im Gegensatz zum Yih, das die Völker ausdrückt, welche von ihnen die Anregung er- hielten. Daher singt die Burda das berühmte Lobge- dicht auf Mohammed von ihrem Standpunkte aus so treffend: „Das ist Mohammed, der Herr dieser und jener Welt, der Herr der Menschen und Ginnen, der Herr der beiden grossen gesonderten Scharen der Menschenkinder: der Araber und der Barbaren^^j und einer ihrer Schrift- steller, ein übermüthiger indischer Muslim, hat einmal frech geschrieben: Der Fortschritt der Weltgeschichte sei dreimal verloren gegangen: einmal in der Schlacht bei Marathon, zum zweiten Male, als Carl Martell die Araber schlug, zum dritten Male, als das von den Türken be- lagerte Wien entsetzt wurde. Es kommt eben Alles auf den Standpunkt an.
Es ist wirklich schwer, sich einen grösseren Un- sinn auch nur vorzustellen, als eine verschiedene Be- handlung von Leuten gleichen Bildungsgrades wegen
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angeblicher Rassenverschiedcnheit. Das Wahnwitzige der Sache für den Fall, der uns hier beschäftigt^ liegt in der Thatsache, dass die Gruppirung der Völker nach Semiten and Ariern auf einer linguistischen, philologischen Eintheilung beruht und dass in geradezu hirnverbrannter Weise die Folgerung aus der Sprachverschiedenheit ge- zogen wird, dass die linguistischen, philologischen Grenzen der beiden Gruppen auch anatomisch zusammenfallen müssen, eine Behauptung, die heute als pyramidaler Un- sinn nachgewiesen ist. Selbstverständlich ist auch der Begriff Arier ausschliesslich ein philologischer. Die grösste und berühmteste Autorität für das Arierthum, der jüngst verstorbene Professor Max Müller, beginnt seinen Artikel „ Aryan" in der Encyclopaedia Britannica mit den Worten : „ Aryan ist ein terminus technicus, welcher eine der grossen Sprachfamilien, die sich von Indien nach Europa erstreckt, bezeichnet etc.** Max Müller sagt, dass es Friedrich Schlegel war, der zuerst die Familienverwandtschaft dieser Sprachen entdeckte und ihnen den Namen indogerma- nische Sprachen gegeben hat und zwar in seinem Werke: „Die Sprache und Weisheit der Indier", erschienen im Jahre des Heiles J808. Wie Eichhorns Begriff „semitisch** ein rein philologischer Begriff ist, so ist auch Schlegels Be- griff „indogermanisch** ausschliesslich philologisch. Vor Eichhorn (J780) und Schlegel (J808) waren diese Begriffe noch nicht erfunden, — noch vor ungefähr einem Jahr- hundert wusste die Welt nichts von einem angeblichen Unterschied zwischen Semiten und Indogermanen, — die beiden Gelehrten würden sich sicherlich im Grabe um- drehen, wenn sie sich die Verwüstungen ansehen könnten, welche ihre Erfindung seither angerichtet hat. Die ehe- malige Sprache der Juden war eine semitische, ihre heiligen
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Schriften sind in zwei semitischen Sprachen — nämlich hebräisch und aramäisch geschrieben» Sie stammen^ wie Christen und Juden behaupten^ alle miteinander von Sem ab, also, wird geschlossen, rollt in ihren Adern durch- wegs semitisches Blut und sie bilden ein für sich abge- schlossenes Ganze. Dass dem aber nicht so ist, dass die heutigen Juden ein Misch volk sind, dass sie schon vor Christi Zeiten ein Misch volk waren, ist eine Thatsache, die durch Renan, Leroy-Beaulieu, F. von Luschan und viele Andere unzweifelhaft bewiesen ist. Für den Juden freilich sind heute die Begriffe jüdische Religion und jüdische Rasse identisch. Aber sie irren sich gewaltig. Es ist trotzdem sicher, dass die Juden sich zuerst, bald nach ihrer friedlichen Eroberung Kanaans, mit der dortigen Urbevölkerung vermischten, es ist unzweifelhaft, dass sie während der babylonischen Gefangenschaft Ehen mit den dortigen fremden Frauen schlössen, denn sonst hätten Esra und Nehcmias bei der Rückkehr der Juden von Babylon nach Jerusalem keine Veranlassung gehabt, einen derartigen Krawall gegen die Mischehen und die fremden Weiber zu insceniren, wie sie ihn thatsächlich nach dem Berichte des 8, Capitels Esra's, welches die Vertreibung der fremden Weiber aus Jerusalem schildert, losgelassen haben. Aber Ruth war ja eine Mohabiterin, also eine NichtJüdin, und sie war die Urgrossmutter Davide des jüdischesten aller Könige!
Zur griechischen und römischen Zeit war das Juden- thum nicht einmal mehr eine nationale Religion? es hatte bereits einen sehr glücklichen Anlauf genommen eine Universalreligion zu werden. Flavius Josephus bemerkt in seiner Schrift gegen Apion: Grosse Massen sind von Nacheifer für unsere Art und Weise der Gottesanbetung
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so heftigf erfasstt dass es keine einzige griechische oder barbarische Stadt, keine Nation §fibt, wo nicht der Sabbath, unsere Fasten, unser Lampendienst, unsere Speisevorschriften beobachtet werden« Palästina war damals nur mehr der Kernpunkt des Judcnthums. Eine gfrosse Zahl der zum Judenthum bekehrten Heiden hatte sich sogar beschneiden lassen, eine noch grössere Anzahl Griechen gehörte in Alexandrien der jüdischen Gemeinde an. Die Propaganda wurde äusserst rege be- trieben; sie begann ungefähr 150 Jahre v. Chr» und dauerte bis gegen 200 nach unserer Zeitrechnung. Helene, die Königin von Adiabene, trat mit ihrer ganzen Familie zum Judenthume über und es ist sehr wahrscheinlich, dass ihre Unterthanen das gleiche gethan. Auch in Syrien trug die Propaganda reiche Früchte; die hero- dischen Fürsten waren ausserordentlich reich und in der Hoffnung, Töchter aus diesem Königshause zu heirathen, kamen viele Fürsten des Ostens aus Emesis, Cilicien, Comagena etc. nach Jerusalem und wurden Juden.
Dio Cassius schrieb im Jahre 225 n. Chr., er wisse nicht, woher der Name „Juden" komme, doch bezöge sich diese Bezeichnung auch auf viele andere Men- schen, die einer anderen Rasse angehören und welche die jüdischen Institutionen angenommen haben. Es gebe auch in Rom viele Leute dieser Sorte, und alle Versuche, ihre Vermehrung aufzuhalten, haben nur dazu geführt, ihre Zahl zu vergrössern. Kaiser Antoninus Pius bestimmte in einem Gesetze, dass die Juden ihre Söhne beschneiden lassen dürfen, jedoch nur ihre Söhne, woraus klar hervorgeht, dass auch Heiden häufig zum Judenthum übertraten.
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Erst nach dem Kriegfe mit Bar Kochba zog sich das Judenthum wieder zusammen tind schloss alles Fremde von sich aus. Jede Propaganda, jedes Proselytenmachen nahm damals ein Ende. Die Proselyten werden der Aussatz Israels genannt und trotzdem drangen immer wieder NichtJuden durch Bekehrung in das Judenthum ein. Der heilige Johannes Chrysostomus predigte in Antiochien seinen Gläubigen unausgesetzt, dass sie es unterlassen sollen, in die dortige Synagoge zu gehen, um Eide zu leisten und das Osterfest mit den Juden zu feiern. Es scheint, dass in dieser Stadt die definitive Trennung zwischen Christen und Juden damals noch nicht ganz durchgeführt war.
Wir wissen aus den Werken des Gregorius von Tours, dass es im fränkischen Reich, in Paris, Orleans und Clermont, sehr viele Juden gab; nie spielt er darauf an, als gehörten diese Juden einer fremden Rasse an. Es ist sehr wahrscheinlich, dass eine grosse Zahl dieser Juden nichts Anderes war, als zur mosaischen Religion übergetretene Gallier und Germanen und auch keinen Tropfen semitischen Blutes in ihren Adern hatten. Wir wissen ferner aus sicheren geschichtlichen Nachrichten, dass sich in Arabien mehrere nichtjüdische Stämme zum Judenthum bekehrt haben. Die Benu-Kinanah, die Kuraiza und Nadhir, mehrere Familien aus dem Stamme Aus waren Juden. In Jemen bekehrte sich der Landes- fürst auf Zureden des Abu-Kaliba zum Judenthum; so- gar ein Wunder spielt bei dieser Bekehrungsgeschichte mit. In einem Berge, nahe bei der Hauptstadt Sanaa, gab es eine Höhle, in welcher ein aus dem Felsen herausbrechendes Feuer bei Rechtsstreitigkeiten den schuldigen Theil zu versengen pflegte. In diese Höhle
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begaben skh die Juden Kaab und Assad^ welche die Thora um den Hals gebunden hatten^ mit den heid- nischen Priestern^ die ihre Götzen trugen. Das heraus- brechende Feuer vernichtete die Letzteren, während die Juden glücklich herauskamen. In Folge dessen sollen sämmtliche Himjariten das Judenthum angenommen haben*
Hierauf zerstörten Kaab und Assad als echte Mono- theisten den Tempel des Götzen Rajam in Sanaa, aus welchem der Teufel in Form eines schwarzen Hundes entfloh. Dieses himjaritische Königreich dauerte jedoch nur wenige Jahre; ob der Teufel dann zurückkam, ist mir nicht bekannt.
In Abessynien gibt es mehrere schwarze Völker- stämme, die nicht semitische, sondern chamitische Spra- chen sprechen und das Judenthum angenommen haben. Sehr merkwürdig ist auch die Bekehrung der Chazaren zum Judenthum. Dieses jüdische Königreich bestand von ca. 740 — J0J6, in welchem Jahre es durch Russen und Byzantiner erobert wurde.
Ungefähr zur Zeit Karls des Grossen hatte der heid- nische König der Chazaren mit seinem Hofe und Volke das karaitische Judenthum angenommen* Die Chazaren waren ein finnisch-ugrischer Volksstamm, verwandt mit den Magyaren und Bulgaren, der an der Wolga, am Kaspischen Meere und in der Nähe von Astrachan hauste. In diesem Reiche hatte es viele Christen und Mohammedaner gegeben; die Juden waren als Kauf- leute, Dolmetscher, Aerzte des chazarischen Fürsten bekannt und es gelang ihnen, ihrem Herrscher Bulan Liebe für das Judenthum einzuflössen. Diese Bekehrung des chazarischen Königreiches zum Judenthum ist ausser-
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ordentlich wichtig; denn es ist durch dieselbe ein ganzes nichtsemitisches Volk in das Judenthom eingetreten.
In den Gesetzen, die unter den römischen, byzanti- nischen und fränkischen Kaisern erlassen wurden, finden sich zahlreiche Strafbestimmungen gegen Christen, die zum Judenthum übertreten. Dies beweist, dass die Uebertritte häufig vorgekommen sein müssen. Es ist daher einfach unmöglich, dass die heute unter uns lebenden Juden eine ungemischte Rasse vorstellen. Rabbi Jehuda Ben Jecheskel, welcher im 3. Jahrhundert lebte, konnte sich nicht entschliessen, seinen Sohn zu verheirathen, und zwang ihn lange nach erreichter Mannbarkeit ledig zu bleiben, da er vollständig sicher sein wollte, ob die Familie seiner Schwiegertochter dem Blute nach vollkommen rein sei. Sein Freund Ulla be- merkte schon damals mit Recht: „Wissen wir denn selbst bestimmt, ob wir nicht von jenen Heiden abstammen, welche bei der Belagerung Jerusalems die Jungfrauen Sions geschändet?^* Also schon damals hatten die Juden begründeten Verdacht, dass ihr Blut sich mit fremdem Blute vermischt hatte. Die Juden sind aber nicht bloss nicht eine einheitliche Mischrasse, die sich zwar mit einem oder mehreren Völkern vermischt hat, aber dennoch einen neuen Mischtypüs geschaffen, sondern sie sind selbst untereinander in dieser Beziehung ausser- ordentlich verschieden. Wir haben bereits gesehen, dass der Begriff Semite und semitisch ein ausschliesslich philo- logischer Begriff ist. Nehmen wir nun den arabischen Beduinen als Typus der semitischen Rasse an, so zeigt sich gerade zwischen ihm und dem Juden eine nicht un- erhebliche Verschiedenheit. Die Beduinen haben fast durchwegs lange schmale Köpfe, auch durchwegs dunklen
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Teint und, was besonders hervorgehoben werden muss, eine kurze, kleine, wenig gebogene Nase, eine Nase, die das gerade Gegentheil von dem ist, was man sich bei uns zu Lande unter einer echten Judennase vorstellt. Der Docent der Berliner Universität Dr. Felix von Luschan hat über die anthropologische Stellung der Juden einen sehr lehrreichen Vortrag gehalten, den ich bei meiner Darstellung hier benütze« Er hat vergleichende Mes- sungen von hebräischen und aramäischen Schädeln an- gestellt und dabei entdeckt, dass unter ihnen 50 Procent ausgemachte kurzköpf ige, ti Procent blonde mit echten Judennasen, mannigfaltige Mischformen und nur fünf Ptocent Langschädel nach beduinischem Muster vorkommen*
Dr* Luschan kommt daher zu dem Schluss, dass nur ein kleiner Bruchtheil der Aramäer und Hebräer aus wirklichen Semiten besteht. Unter den deutschen Juden hat er n Procent blonde entdeckt. Auch in Syrien ist ein grosser Procentsatz der Bevölkerung blond*
Nun wissen wir, dass die in Syrien lebenden Amo- riter, von denen die Bibel spricht, ein blondes Volk waren, und es ist kein Zweifel vorhanden, dass der ganze Nordrand von Afrika von blonden Völkern bewohnt war, die wahrscheinlich der Drang nach Süden von Europa in jenes warme Gebiet gezogen. Auch die Aegypter kannten sie unter dem Namen Tamehu, das Volk der Nordländer* Es scheint nun, dass diese Amo- riter ein Zweig dieser Tamehu waren und dass sie sich schon früher mit den Juden vermengten. Es gibt nun ein Volk, welches anatomisch nach seinem Schädelbau, seiner Haar- und Augenfarbe und ganz besonders nach der Form der Nase den Juden nachgewiesenermassen
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sehr nahe kommt^ und dieses Volk spricht eine indo- g-ermanische Sprache und ist christlich. Es sind dies die Armenier» Aber auch mehrere Völkerstämme im Caucasust vor Allem die Georgier, gleichen den Juden frappant*
Als ich vor einigen Jahren 6\z, Fahrt von Batum nach Tiflis machte und die Volkstypen an den Eisen- bahnstationen betrachtete, war ich im höchsten Grade überrascht über die Aehnlichkeit der dortigen Bevölke- rung mit den polnischen und russischen Juden« Hiervon kann sich ein Jeder überzeugen, der sich die Mühe nehmen will, ein illustrirtes "Werk über den Caucasus und dessen Bevölkerung anzuschauen.
Professor Dr. Luschan kommt am Schlüsse seiner Untersuchung zum Ergebnis, dass die modernen Juden zusammengesetzt sind: erstens aus den arischen Amo- ritern, zweitens aus wirklichen Semiten, drittens und hauptsächlich aus den Nachkommen der alten Hethiter. Neben diesen drei wichtigsten Elementen des Judenthums kommen andere Beimengungen, wie sie im Laufe einer mehrtausendjährigen Diaspora ja immerhin möglich waren und sicher auch vorgekommen sind, gar nicht in Betracht. Auch Spuren von mongolischem Typus hat man bei vielen Juden entdecken wollen, was sich sehr leicht durch Auswanderungen aus dem jüdischen Königreiche der Chazaren oder Mischehen mit ihnen erklären lassen könnte*
Wahrhaftig; sobald man sich mit der Rassenfrage beschäftigt und auf Anatomie, Sprache oder Religion basirende Grundsätze für deren Eintheilung oder die Einrangirung eines Volkes in eine dieser Gruppen sucht, stösst man immer mehr und mehr auf heillose Con-
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fusionen und unentwiffbare Räthsel. Man greift nur Nebelbilder, leere Phantome«
Aus den Darstellungen der von mir citirten Fach- leute und Gelehrten geht mit Bestimmtheit hervor, dass kein Mensch sich eine Vorstellung einer semitischen Völkergruppe überhaupt machen kann, dass dieser Be- griff bloss auf Philologie beruht und auf gar nichts Anderem, besonders nicht auf Anatomie, Religion und Geschichte, dass nicht einmal die Juden in diesem ver- schwommenen Begriff „semitische Völker*^ eingeschachtelt werden können und dass gerade die Juden die grösste Aehnlichkeit haben mit gewissen indogermanischen Völ- kern und eine sehr geringe mit den angeblich echt semitischen Beduinen und dass die heutigen Juden auch unter sich anatomisch sehr verschieden sind» Auf eine ganz bedeutende Mischung der heute vorhandenen Juden mit fremden Elementen weist auch ihre bekannte grosse Begabung hin. Professor Lombroso hat apodiktisch behauptet, dass der Grad der Intelligenz einer Rasse zu- nehme mit der Mischung ihres Blutes mit fremden Elementen* Je mehr eine Rasse gemischt ist, desto intelligenter ist sie und umgekehrt.
Es ist heute eine durch die Kraniologie zur Evidenz nach- gewiesene Thatsache, dass es keine reine jüdische Rasse gibt und dass die Juden anatomisch sich von den übrigen semitische Sprachen redenden Völkern sehr bedeutend unterscheiden. Lassen wir die Zahlen reden* Professor Lombroso constatirt, dass alle Untersuchungen an Semiten- schädeln verschiedenen Ursprungs mittlere Schädelindices, die zwischen 73 und 74 variiren, ergeben haben. Lassen wir ihm das Wort: „Ausser den Beobachtungen von Luschan ergeben alle anderen Untersuchungen an mehr
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oder weniger grossen Reihen semitischer Schädel ver- schiedenen Ursprungs mittlere Schädelindicest die zwischen
73 und 74 variiren. Quatrefages und Hamy fanden bei einer Sammlung von 28 Semitenschädeln einen mittleren Index von 72,9, Topinard von 74 an 28 weiteren Schädeln. Ferner hatten Längen-Breitenindex. 28 Araber-Schädel (Gillebert Dr. Hercourt) 76
74 Araber-Schädel (Lugnean) 75,4 49 Araber-Schädel (Topinard) 76,3 20 Schädel der Arabia Petrea (Ellis-Lcser) 73,8 20 Schädel Syrischer Beduinen 75,4
Die arabische Bevölkerung Marokkos zeigt dieselben Schädelformen, besonders ist bei ihnen die Höhe des Schädels bedeutend, der Höhenindex kommt bei ihnen nahe an 100, während er bei den von uns untersuchten modernen Juden höchsten 80 betrug.
Eine Differenz zwischen antiken und modernen Juden- schädeln im Sinne einer zunehmenden Brachycephalie, und eine bedeutende Dolichocephalie anderer semitischer Völker lehren auch die Untersuchungen Welckers, der darüber u. a. folgende Angaben macht:
Längen-Breitenindex. Abessynier (4 Schädel) 7J,3
Araber (J5 Schädel) 76,9
Juden vom Blutacker zu Jerusalem (4 Schädel) 73,2 Moderne Juden (20 Schädel) 8J,8
Auch diese Zahlen beweisen also, wie wenig Semitismus das Judenthum in sich schliesst und schloss, auch in weit- zurückliegender Zeit.
Wie gross der Unterschied zwischen Juden und Semiten ist, der in dem Verhalten dieses wichtigsten anthropo- logischen Merkmals hervortritt, ergibt sich daraus, dass
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in Sardinien, wo das semitische Element unter der christ- lichen Bevölkerung dominirt, Dolichocephalie bei 9A% der Urbevölkerung vorkommt, (der mittlere Schädelindex beträgt bei den Dolichocephalen 74) während die Brachy- cephalic mit einem mittleren Index von 80 nur bei 6% vorkommt (nach Calori)«*^
William Ripley hat uns in seinem hochgelehrten Werke: The raccs of Europe die Resultate einer grossen Zahl von Judenschädelmessungcn dargelegt und wie folgt zusammengestellt :
Autorität
Ort
Zahl
Schädel- Index
Lombroso, 1894 a. . . Weisfaach, J877 .... Majer und Kopernicki,
J877
Blechmann, 1882 . . . Stieda, 1883 a. (Dy-
bowski)
Ikof, 1884
Ikof, 1884
Ikof, J884
Majer und Kopermcki,
J885
Jacobs, 1890
Jacobs, 1890
Talko - Hryncc wic2,
J892
Deniker, 1898 a. . . . "Weissenberg, 1895. . . Weissenberg, 1895 . .
Glück, J896
Livi, 1896 a
Elkind, 1897
Deniker, 1898
Ammon, 1899
Turin, Italien Balkanstaat
Galizien West-Russland
Minsk, Russland
Russland
Constantinopel
Krim
Galizien
England
England (Sephar-
dim)
Lithauen
Caucasien
Süd-Russland
Süd-Russland
Bosnien(Spagnuoli)
Italien
Polen
Daghestan Baden
112 19
3)6 JOD
67
120
17 Schädel
30 Schädel
(Karaim)
100
363
51
713
53 100 50 Weiber
55
34
325
19 207
82,0 82,2
83,6 83,21
82,2 83,2 74,5 83,3
81,7 80,0
85,2
82,5
82,4
80,1
81,6 /Männer 8 1,9 iWeiber 82,9
87,0
83,5
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Die modernen Juden, sagt Lombroso, sind dem Körper- bau nach mehr Arier als Semiten. ffDct ursprüng- liche semitische Stamm", sagt Ripley, ,,muss Anfangs stark dolichocephal gewesen sein, daraus folgt, dass un- gefähr neun Zehntel der heute lebenden Juden der Schädelform nach so bedeutend als nur möglich verschieden sind vom ursprünglichen semitischen Stamme. Die vielgerühmte Reinheit der Abstammung der Juden ist somit ein Märchen. Das Wort Jude ent- hält keine ethnographische Bedeutung.**
Nun, was meinen Sie wohl, meine geehrten wissen- schaftlichen Gegner. Professor Lombroso sagt, die Juden seien mehr Arier als Semiten. Professor Müller hat, wie wir gesehen haben, versucht, nachzuweisen, dass sämmt- liche Semiten chamitisirte Indogermanen sind. Haben Sie, meine Herren, die haarsträubende Verwirrung, die komischen Widersprüche bemerkt, die hei allen diesen Rassentheorien immer und überall in die Augen springen? Sie bäumen sich auf gegen die Zumuthung, dass Sie als Arier von der gleichen Rasse sein könnten, wie Semiten und Juden, Sie führen wissenschaftliche Autoritäten in's Feld, welche behaupten, was Ihnen zu glauben so will- kommen ist, dass die Aegypter und die Chaldäer Indo- germanen sind, Sie hoffen immer noch, dass sich dereinst die Sumerier trotz ihrer turanischen Sprache doch noch als Indogermanen, als Arier entpuppen könnten. Nun gut, nehmen wir an, dass die Autoritäten, auf welche Sie sich berufen. Recht haben. Also es mögen die Aegypter und Chaldäer, weil Sie es wünschen, Indogermanen sein, mir aber lassen Sie die Freude, mit Professor Müller sämmtliche Semiten ebenfalls als Indogermanen zu be- grüssen. Wo landen wir nun? Merken denn meine
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8:echftcn Gegner noch immer nichts? Geht keine Gas- fabrik plötzlich im Kopfe auf, die die Situation grell beleuchtet und darthut, dass dieser ganze Streit — be- treffend die Rasse — gleichgültig ob indogermanisch, semitisch, chamitisch, turanisch u. s. w. auf einer boden- losen Mystification beruht und an und für sich von allem Anfange an total sinn- und gegenstandslos ist, weil es eben gar keine derartigen Rassen gibt, keine semitische, keine chamitische, keine arische, keine turanische?
Zum Schlüsse ein ernstgemeintes Wort. Wenn man Antisemite sein will, und zwar ganz und gründlich, offen und ehrlich, aber dabei doch civilisirt und gebildet bleiben will, so gibt es nur ein einziges radicales Mittel. Man entsage seinem Glauben, nämlich einer von den drei semitischen Religionen: Judenthum, Christenthum oder Islam. Ist dies gethan, dann hinaus mit der Wochen- eintheilung, dem Sonn- und Feiertag, hinaus mit unseren Alphabeten, unserem Kalender, unseren Sitten und Ge- bräuchen bei Geburten, Heirathen und Todesfällen; hin- aus mit der auf das Verhältnis von einem Mann und einer oder mehreren Frauen basirten Familie. Greifen wir zum Pinsel und Zopf und werden wir Chinesen. Das hat Kopf und Fuss, das ist vernünftiger Antisemitismus, und über die Vorzüge und Nachtheile des Tausches liesse sich vernünftig disputiren. Ein drittes gibt es nicht, da, so viel ich weiss, die Hindu's und die Parsi's keinen Frem- den in ihre Kasten respective Gemeinschaft aufnehmen. Es bleibt also nichts übrig, als die gründliche Sinisirung* Wer aber kein Chinese werden und doch einem civili- sirten Culturkreise angehören will, der kann aus dem Semitismus ebensowenig heraus, als wie aus seiner eigenen Haut. Daher ist der ganze Antisemitismus ein horren-
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der Unsinn^ worunter ich vorläufig nur jenen Antisemi- tismus verstehe t dctf wie der Name sagt, gegen alle Semiten losgeht und nicht blos gegen die Juden.
Ich glaube, dass die von mir angeführten Autoritäten vollkommenes Vertrauen verdienen; es sind Fachmänner, die die hier behandelten Fragen gründlich studiert haben, keine Dilettanten. Resumiren wir nun kurz das Gesagte.
Es gibt keine semitischen Völker« Die freie ungläu- bige Wissenschaft glaubt an keine Person Namens Sem, der ihr Ahnherr und Stammvater gewesen sein könnte. Es gibt nur Völker, die unter einander verwandte Sprachen reden, welche Sprachen durch einen Gelehrten vor circa J20 Jahren semitische Sprachen genannt worden sind. Semitisch ist ein philologischer Begriff. Die semitische Sprachen redenden Völker sind von einander total ver- schieden und haben anatomisch mit den Juden und viel- fach auch unter sich nichts gemein.
Es gibt keine semitischen Charaktereigenschaften, welche allen semitisch redenden Völkern gemeinschaft- lich wären. Die Juden sind ein Misch volk, sie haben nur sehr wenig Aehnlichkeit mit den Arabern, welche den reinsten semitischen Typus vorstellen sollen, sie stehen uns physisch viel näher, als die Beduinen. Wer also von einem Wesen der semitischen Rasse spricht, sagt einen Unsinn, und wer den Begriff dieses semitischen Wesens mit den Juden in Zusammenhang bringt, ebenfalls.
Dies folgt aus den Resultaten der tüchtigsten For- schungen der bedeutendsten Fachmänner, Linguisten, Historiker, Mediciner, Naturforscher. So verschieden auch das Fach, die Fachgelehrten kommen zum gleichen negativen Resultat.
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Mit demRasscnantiscmitismus ist die Wissenschaft längst fertigt wie ich aws den Zeugnissen bedeutender Fachge- lehrter der verschiedensten Disciplinen nachgewiesen zu haben überzeugt bin» Hier liegen seine Trümmer und ich bin neugierige ob man sie je wieder zusammenleimen wird.
Rassenhass ist und bleibt Ausdruck einer Persönlich- keite die auf niederen Stufen moralischer Ausbildung zurückgeblieben ist (E* Reich). Je milder der Rassen- hass bei einem Volke sich zeigen wird, eine desto höhere Stufe der Aufklärung und Gesittung wird es einnehmen, endlich wird jene Nation den höchsten Grad der geistigen und moralischen Entwicklung für sich beanspruchen können, bei welcher ein Rassenhass gar nicht mehr vor- handen sein wird (J. Baum).
Der Philosoph Nietzsche hat einmal geschrieben, er bezweifle sehr, dass sich die Götter zu Tode gedämmert, er sei vielmehr der Ansicht, sie hätten sich zu Tode gelacht. Ob er Recht hat, kann man natürlich nicht wissen; wenn sich aber ein Bewohner des hohen Olymps zu Tode gelacht hat, so dürfte das sicher die Venus sein, wenn sie hinunterblickt auf den Streit der Völker und ihre feindliche Absonderung nach Rassen.
Ich schliesse diese Abhandlung mit einem Ausspruche Friedrich Müllers, der mir aus der Seele geschrieben ist:
„Rasse ist eine leere Phrase, ein purer Schwindel.*'
Aber, wird man einwenden, es ist denn doch ein Unterschied zwischen einem Juden und einem Christen, sogar einem getauften Juden und einem Christen. Wenn er nicht im Blute, nicht in der Abstammung, nicht in der Schädelform besteht, in was liegt er denn dann? O ja, es ist thatsächlich ein Unterschied vorhanden und
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sogar ein bedeutender; wir wollen auch zur Untersuchung desselben schreiten. Dieser Unterschied zwischen uns und dem Juden ist durch künstliche Zuchtwahl^ durch sociale Solidarität entstanden. Ihn zu erklären vermag nur die Geschichte. Wir werden ihn verstehen, sobald wir die Stellung kennen lernen, die die Juden im Laufe der Zeiten bei den verschiedenen Völkern der Erde und zwar freiwillig oder gezwungen eingenommen haben* Diese Stellung lässt sich mit einem einzigen Worte be- zeichnen, es lautet Ausschliessung; und die war bald eine freiwillige, bald eine unfreiwillige. Die frei- willige beruhte ausschliesslich auf den Grundsätzen der mosaischen Religion, was wohl Niemandem in Abrede zu stellen einfallen dürfte. Sie war die nothwendige Folge der jüdischen Religion, sie war eine exclusiv religiöse Frage. Und die unfreiwillige Ausschliessung war ebenfalls nichts Anderes, wie ich beweisen werde.
Zweites CapiteL
AntiJudaismus im Alterthum.
Ernest Renan schreibt in seinem V. Bande der Ge- schichte Israels Seite 227 folgende bedeutende Worte: ffDcr Antisemitismus ist nicht eine Erfindung unserer Zeit^ er war niemals brennender als im letzten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und wenn eine Erscheinung sich auf diese Art an allen Orten und zu jeder Zeit wiederholt^ so verlohnt es sich gewiss der Mühe, sie zu studieren. In Alexandrien^ in Antiochien^ in Kleinasien^ in Cyrene^ in Damaskus ist der Kampf zwischen Juden und Nicht- juden ein permanenter. Die Zeit des religiösen Hasses beginnt und man kann nicht leugnen^ dass diese Aeusserungen des Hasses gewöhnlich von den Juden provocirt worden sind. Es war dies die fatale Consequenz der Einführung des Absoluten in der Religion. Die Christen haben später das Uebel auf die Spitze getrieben^ aus anfänglich Verfolgten wurden sie Verfolger."
Demnach setzt Renan die Entstehung des Anti- semitismus in die Zeit, in welcher die Römer Herren von Palästina wurden. Vielleicht könnte man die Ent- stehung desselben noch weiter hinaufrücken bis zur Zeit der Rückkehr der Juden aus der babylonischen Gefangen- schaft. Jedenfalls nicht früher. So lange die Reiche Israel und Juda existirten, mochten sie von ihren Nach- barn gehasst und verabscheut werden, wie jedes andere
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Völklein^ das Letzteren im Wege stände jedoch blos aüs politischen Gründen* Einen eigentlichen Anti- semitismus respective Anti Judaismus gab es aber nicht; derselbe hat sicher nicht begonnen, bevor Esra mit fünf Gehilfen in vierzig Tagen an Stelle der verbrannten alten Exemplare der heiligen Schriften aus dem Gedächt- nis ein neues Exemplar hergestellt hatte*
Wenn meine verehrten Gegner mir darauf antworten, dass es von mir ungerecht ist, die für die antisemitische Theorie so fruchtbare und verwerthbare Geschichte des Auszuges (oder der Vertreibung?) der Israeliten aus Aegypten nicht zu verwerthen, so erlaube ich mir zu antworten, dass ich ihnen diesbezüglich Stand halten werde, wenn sie mir einmal nachweisen, dass die Thora, welche allein diesen Auszug beschreibt, zur Zeit der Richter und Könige den Juden bekannt war und mir in den Schriften der älteren Propheten Citate aus derselben anführen; wenn sie mir ferner erklären werden, wie es möglich war, dass, als zur Zeit Salomons die Bundeslade geöffnet wurde, das Buch des Gesetzes, wie uns das erste Buch der Könige 8. Gap. 9* Vers versichert, sich in der- selben nicht befand; wenn sie mir weiter expliciren, wie 350 Jahre nach Eröffnung der Lade unter Salomon der hohe Priester Hilkia zu dem Schreiber Saphan zur Zeit des Königs Josia im Jahre 623 v. Chr» sagen konnte, er habe das Gesetzbuch gefunden im Hause des Herrn, und woher Saphan und Hilkia wissen konnten, dass es jenes Gesetzbuch war und warum sie dann Alle, statt sich an Jeremias zu wenden, sich zur Prophetin Hulda begeben haben, um „mit ihr zu redcn*% und aus welchem Grunde der Welt die Letztere so ausser sich gerieth« Der Auszug aus Aegypten ist auch etwas zu rasch erfolgt.
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als dass ich ihn hier verwerthcn könnte; die Ge- schwindigkeit der Reise betrug nämlich circa JOO Kilo- meter per Stunde und jede jüdische Frau hatte an sechtig Kinder zum Mitschleppen, was ich den geehrten Leser sich selbst aus dem Texte des Exodus auszurechnen ersuche«
Man wolle also entschuldigen , wenn ich die Ge- schichte des AntiJudaismus erst mit dem Augenblicke beginne, an welchem uns ein Judenthum fix und fertig mit der Thora oder Theilen der Thora entgegentritt, weil nur in der Thora die Geschichte vom Auszug aus Acgypten ausführlich beschrieben ist.
Erst unter der persischen Herrschaft ist die Trennung zwischen Samaritanern und Juden definitiv geworden, und da die Samaritaner vom Antisemitismus meines Wissens in Ruhe gelassen werden, so sei es gestattet, erst mit dieser Zeit zu beginnen*
Cyrus war, wie so viele grosse Herrscher, z. B. Alexander der Grosse, Julius Cäsar, Karl der Grosse, ein Gönner der Juden, deswegen nennt ihn auch Deutero Jesaias „Gesalbten des Herrn*^ Nach der Er- oberung Babylons liess er die Juden nach Palästina zurückkehren, eine Erlaubnis, von welcher Letztere auch in grossem Masse Gebrauch machten. Die zurück- gekehrte Colonie war ausserordentlich arm; sie hatten also offenbar in Babylonien noch nicht das Talent, sich schnell zu bereichern.
In dieser Zeit erfolgte auf Esras Befehl die schänd- liche Vertreibung der von den Juden angeheiratheten fremden Weiber.*)
*) Wahrscheinlich stammt auch die Geschichte von Abraham und Hagar aus dieser Zeit.
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Unter Esra erfolgte auch die Promulgfation der Thora. Hierdurch war die Bigotterie der Juden ins Leben ge- rufen. Der Fanatismus war geboren, die Litteratur sank und Israel verfiel in einen 200 jährigen Schlaf (von 400 — 200 V» Ciit*)t wie ein Mensch, der eine zu starke Dosis Opium erhalten hat. Die Thora ward für die Juden Alles; sie war, wie Renan sagt, das engste Schnürhemd, das jemals Lebendiges eingeengt hat. Philosophie, Wissenschaft, Dichtung, Alles wurde erstickt, natürlich auch der Geschäftsbetrieb und der Handelsgeist, wie überhaupt jede freie Thätigkeit. Renan bemerkt hier- zu: „Der Zweck des mosaischen Gesetzes war, die Juden im Zustande eines patriarchalisch regierten Volkes zu erhalten, die Bildung grosser Vermögen zu verhindern, die Entwickelung der Industrie und des Handels nach phönizischem System unmöglich zu machen* Die Juden sind erst dann reich geworden, als die Christen sie dazu gezwungen haben, und zwar dadurch, dass man ihnen untersagte, Grund und Boden zu besitzen und ihnen die Führung der Geldgeschäfte in Folge unpraktischer (christlicher) Anschauungen über das Zinsennehmen auf- drängte.**
Als Alexander der Grosse das Perserreich im Jahre 3J9 stürzte, wurde Palästina nach seinem Tode (323) von Ptolemäus Lagus, dem Könige Aegyptens, erobert. In jene Zeit fällt die Gründung der jüdischen Colonie in Alexandrien, die sich mit der Zeit zu hoher Blüthc emporschwang. Palästina wurde der Schauplatz des Krieges zwischen Aegypten und Syrien. In dieselbe Zeit fällt auch der Beginn des Proselytismus.
Im Jahre 2J8 fiel Palästina auf kurze Zeit in den Besitz des seleucidischen Königs Antiochus III., kam
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jedoch bald darauf wieder zu Aegfypten und fiel im Jahre J98 wieder an den seleucidischen Herrschen Doch schon im Jahre J93 wurde Palästina wiederum aegfyptische Provinz, aber nur für kurze Zeit.
Vom Jahre J75 an war die Hellenisirung des gfanzen östlichen Mittelmeeres zur Thatsache geworden» Die Gebildeten aller Völker wenden sich willig der grie- chischen Civilisation, Sprache und Philosophie zu, Aegypten, Phönizien, Kleinasien , Syrien, theil weise auch Carthago, Armenien und Assyrien, wurden helle- nistisch und zwar gern und leicht, ja sogar mit Be- geisterung; nur die Juden Palästinas mit ihrer Thora in der Hand wollten von der griechischen Civilisation nichts hören. Justament nicht, so lautete wohl ihre Devise. Ein hartnäckiges Volk fürwahr! Sie wollten ihre semitische Sprache behalten und im Geiste ihrer Thora denken. Mit dem griechischen Culte der Schön- heit war der Cultus des menschlichen Körpers, die Be- wunderung des Nackten unzertrennlich verbunden. Ge- rade das aber war den Juden ein Gräuel. Auch war in Folge der Beschneidung der Jude immer dem Spotte des NichtJuden ausgesetzt. So entstanden denn sogar in Jerusalem zwei Parteien; die hellenistische und die orthodoxe. Die letztere hielt starr und fest an ihrer Thora, ihrer Sprache, ihren Sitten und Gebräuchen; es waren die Chassidim, die Strenggläubigen, die Pharisäer.
Da kam nun in der Person des Königs Antiochus Epiphanes ein Mann, der es zum ersten Male wagte, ins Wespennest hineinzustechen. Er setzte sich in den Kopf, alle seine Unterthanen unter ein und dasselbe Gesetz zu briegen, das Judenthum auszurotten, die Juden zu Handlungen zu zwingen, welche sie für götzcn-
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dienerisch hielten* Antiochus begünstigte anfangs alle Liberalen^ d* h» die hellenistischen Juden, odcft wie wir heute sagen würden, die Reformjuden, von denen viele zum heidnischen Glauben übertraten. Jerusalem wurde immer mehr hellenistisch; während einigen Jahren soll die Stadt sogar nicht einen einzigen jüdischen Einwohner gehabt haben* Ja, was das Beste ist, die hellenistische Partei stellte eine Statue des olympischen Zeus im Tempel Jahwe's auf* Es war dies die denkbar höchste Be- leidigung der Jahwe-Religion* Nun verbot die Regierung auch noch die Beschneidung, die Beobachtung des Sabbaths und der übrigen jüdischen Gesetze* Alle Exemplare der Thora, deren man habhaft werden konnte, wurden ver- brannt* Aus dieser Zeit berichtet uns die biblische Ge- schichte zahlreiche Fälle von Personen, die dem Glauben zuliebe den Märtyrertod starben* Es war die Geburts- stunde eingetreten des grossen Gedankens, dass man eher Gut und Blut, Leib und Leben hinopfern muss, als dem einzig wahren Glauben zu entsagen. Damit aber wurde die alte jüdische Vorstellung, dass alle guten Thaten und die Beobachtung des Gesetzes von Gott hinieden auf Erden belohnt werden, nothwendiger Weise zu Grabe ge- tragen und es entstand wahrscheinlich unter persischem Einfluss die dem Judenthum bisher fremde Idee von der Auferstehung des Fleisches und von einem ewigen Leben* Antiochus Epiphanes glaubte, wie so viele religiöse Ver- folger, die verfolgte Religion zu vernichten; thatsächlich aber erzielte er den entgegengesetzten Erfolg* Gerade durch die Verfolgung rettete er diese Religion* Die Re- ligionen lassen sich nicht durch das Mittel der Ver- folgung vernichten; im Gegentheil, sie dient nur dazu, sie zu stärken und zu verbreiten* Die Geschichte liefert
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uns unzähligfc Beweise für die Wahrheit dieser Thatsache. Die ganze jüdische Geschichte bis auf den heutigen Tag, die blutige Verfolgung der Christen zur Zeit des römischen Kaiserreiches, sowie in vielen anderen Ländern; die schweren und grausamen Verfolgungen, die Mohammed und seine ersten Anhänger durch die Koreischiten, die Parsis durch die Mohammedaner in Persien zu erdulden hatten, mögen diese ewige Wahrheit illustriren. Das Blut der Märtyrer ist der Samen der Religionen* Eine grosse tiefe Wahrheit!
Die Folge der seleucidischen Verfolgung war der glorreiche Aufstand der Makkabäer* Judas Makkabäus war die Seele der Empörung« Er rettete das Judenthum und die Thora, die ohne ihn verloren gewesen wären. Wer die Geschichte dieser Kriege, sowie des Kampfes der Juden gegen die Römer unter Titus und Hadrian studiert, wird, wenn er ehrlich ist, eingestehen müssen, dass die Juden eines der tapfersten Völker der Erde ge- wesen sind. Wenn sie nun heute diese grossartige Tapfer- keit eingebüsst haben, so ist dieser Verlust das Resultat einer geschichtlichen Entwickelung. Die Makkabäer hatten gesiegt, mit ihnen kam die chassidische Richtung an die Regierung. Sie regierten streng nach den Grundsätzen der Thora und waren in Folge dessen von allen ihren Nachbarn auf das Aeusserste verhasst; denn alle diese Nachbar- völker standen auf Seite der Seleuciden, natürlich auch jene, welche semitische Sprachen noch sprachen oder wenigstens gesprochen hatten und welche von den Anti- semiten als semitische Völker bezeichnet werden.
Doch diese Herrlichkeit dauerte nicht lange. Die Syrier, von Lysias angeführt, besiegten im Jahre J63 das jüdische Heer der Makkabäer und stellten die syrische
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Herrschaft wieder her. Der Friede wurde geschlossen auf Basis der Religionsfreiheit*
Aus dem Gesagten geht hervor, dass diese lang- wierigen blutigen Kriege keinen anderen Grund hatten, als die Religion, dass also der Anti- semitismus schon in seiner Wiege den Stempel des religiösen Fanatismus an sich trug; eine Wahrheit, auf die ich. meine verehrten antisemitischen Gegner ganz besonders aufmerksam zu machen mir er- laube, mit der höflichen Bitte, dies zu widerlegen, wenn sie es können*
Renan hat bei seiner Beschreibung der Verfolgung zur Zeit der Seleucidenherrschaft den wahrhaft genialen Gedanken niedergeschrieben: „Das, was der Fanatiker am meisten hasst, ist die Freiheit; es ist ihm bedeutend lieber ein Verfolgter, als ein Geduldeter zu sein, das was er will, ist das Recht, andere verfolgen zu dürfen*^*
Es ist dies die nothwendige Folge der monotheistischen Lehre, dass Gott nur auf eine einzige Art verehrt werden will und darf; dass alle anderen Götter, ausser der Einzige, „Nichtigkeiten", Habalim sind, wie der hebräische Aus- druck lautet, respective Dämonen, wie die Christen diesen Ausdruck übersetzen**) Ist aber jeder Cult eines anderen Gottes Gotteslästerung und Teufelsdienst, so ist es selbst-
*) Vergleiche das interessante Werk ^Wunder und Scheinwonder** von J. von Bonniot S. J. (Mainz 1889), worin der Beweis versucht wird, dass sämmtliche Götter des Heidenthums wirkliche Dämonen waren.
Ausser dem Worte Nichtigkeiten hatten die Juden noch andere liebenswürdige Bezeichnungen für die Götter der Fremden, als da sind: Scheusal, Lüge, Unrecht, Nichtgott u. s, w.
Ob man sich durch derartige Bezeichnungen der Objecte der Ver-
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verständlicht dass er vernichtet und zerstört werden muss und dass es ein gfottgfefälliges Werk ist^ an dieser Zer- störung zu arbeiten. Verliert man nun bei Ausübung dieses gottgefälligen Werkes sein Leben, so ist ewige Seligkeit und endlose Glorie der zu erwartende Lohn. Der Monotheismus, die Lehre von der ausschliesslichen Seligmachung und der Sträflichkeit des Irrthums sind nothwendiger Weise Feinde der religiösen Freiheit und Toleranz. Ihr Gegensatz ist der Glaube, dass alle Gebete der Menschen, an was immer für ein übernatürliches Wesen gerichtet, ganz von selbst nur an eine einzige Adresse gelangen können, wie verschieden auch die Wege und Kanäle sind, die zu ihm führen — nämlich an den einzigen Gott, das Centrum des Weltalls.
Die seleucidische Herrschaft glich in Vielem der heutigen türkischen Regierung, indem sie fast ausschliesslich in den Städten wirkte und sich kaum in das Innere des Landes hinein erstreckte. Dem Hasmonäer Jonathan war es gelungen, im Jahre 143 v. Chr. den jüdischen Staat wieder autonom zu machen. Diese Regierungs- form war ausserordentlich intolerant und grausam, religiöse Streitigkeiten und damit verbundene Blutbäder an der Tagesordnung. Die Unzufriedenheit, Streitsucht und Intoleranz der Juden Palästinas erstreckte sich auch auf die Juden Alexandriens. Sie waren bei allen Völkern masslos verhasst. Schon im Jahre MO v. Chr. warf Appolonius Molon den Juden ihre Verachtung für alle anderen Religionen, ihre Ungeselligkeit, ihren Mangel
ehrung seiner Nachbarn beliebt macht, möge der geehrte Leser selbst beurtheilen, "W^enn damals mit dem Götzendienst Grausamkeit und Unzucht verbunden war, woran nicht zu zweifeln ist, so h&tte genügt, diese Ausartungen zu bekämpfen.
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an Ehffüfcht gegfen die Göttei* von Es entstand unter den Heiden eine eigene jüdische Geschichtet unter andern das grosse Geschichtswerk von Posedoniust in welchem der Hass der Griechen die unsinnigsten Verläumdungen gegen die Juden niederschrieb, welche von den späteren heidnischen Schriftstellern gerne geglaubt und wiederholt wurden.
Die Geschichte der Hasmonäer bis zur herodianischen Zeit ist eine ununterbrochene Reihenfolge von Intriguen und Verbrechen aller Art. Sadducäer und Pharisäer be- fehdeten sich aufs Aeusserste. Janeus zeichnete sich durch besondere Grausamkeit aus. Während des Bürger- krieges im Jahre 87 belagerte er die Aufständischen in einer kleinen Stadt Namens Bethome, zwang sie zur Uebergabe und führte die Gefangenen nach Jerusalem. Dort liess er 800 von ihnen kreuzigen und liess während ihres langwierigen Todeskampfes die Weiber und Kinder der Unglücklichen in ihrer Gegenwart hinschlachten, während er gleichzeitig mit seinen Maitressen ein Fest- mahl gab und sich dabei an den Leiden dieser unglück- lichen Opfer weidete.
Und was war denn die Veranlassung zu dieser uner- hörten Infamie? Wieder ein Scandal religöser Natur! Als Janeus circa 95 v. Chr. als Hoherpriester beim Laub- hüttenfest pontificirte, inscenirte das Volk, von den Phari- säern aufgestachelt, einen Riesenscandal. Gerade im Augenblicke, als Janeus die Stufen des Altars hinauf- schritt, erscholl von allen Seiten der Ruf, er sei nach den Bestimmungen der Thora des Pontificates unwürdig, weil von einem Sclaven abstammend. Citronen fliegen dem Ehrenmann auf den Schädel. Tableau! Rauferei, Massacre, 6000 Anhänger der Pharisäer bleiben auf dem
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Tempelpflastcf ; Bürgcrkricgf, dessen Hauptscandal ich eben angeführt habe* So geht es fort, bis die Römer Ordnung machen. Bei diesen ewigen Kämpfen, Kriegen und Bürgerkriegen handelte es sich immer blos um die Bekämpfung des Hellenismus durch einen engherzigen Judaismus aus religiösen Gründen* Ganze Städte wur- den vernichtet t blühende Länderstrecken zu Wüsten ge- macht; die Juden wollten keinen Verkehr mit den Un- beschnittenen* Unter Alexandra herrschten die Pharisäer, und die Sadducäer wurden aus allen Stellungen verdrängt* In was bestand aber dieser Gegensatz zwischen Phari- säern und Sadducäem, dessen Bethätigung ganz Palästina mit Blut getränkt hat und auf welchen schliesslich theil- weise der grosse Purzelbaum des jüdischen Staates zu- zurückzuführen ist. Nun, dieser Gegensatz beruhte wieder auf Religion* Die Pharisäer sind die streng gesetzlichen, die orthodoxen Vertreter des Judenthums, sie sind die Repräsentanten jenes Wesens, das Israel an- genommen hat seit der Rückkehr aus Babylon, das Produkt des Werkes des Esra* Alle bedeutenden Schriftgelehrten waren Pharisäer* Sie glaubten an ein mündliches Gesetz, ausser dem schriftlich Fixirten an eine Ueberlieferung der Väter* Aus ihrem Schosse ist der Rabbinismus und der Talmud hervorgegangen* Sie stellen die Tradition sogar höher als die Schrift, was anderswo auch vorkommen soll* „Es ist sündhafter, gegen die Verordnungen der Schriftgelehrten zu lehren, als gegen die Thora selbst^^ lautete einer ihrer Grundsätze. Sie glaubten an die Unvergänglichkeit der Seele, an die Auferstehung und eine Strafe im Jenseits, an Engel und Geister und an ein von Gott verhängtes und geleitetes Fatum, das jedoch die Willensfreiheit nur beschränkt, aber
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nicht aufhebt» In der Politik wollten die Pharisäer^ dass politische Fragen nicht vom politischen^ sondern vom religiösen Standpunkte aus behandelt wer- den! Sie waren eigentlich keine politische Partei, sie wurden nur dann ,,politisch*% wenn die Obrigkeit etwas von ihnen verlangte, wodurch die orthodoxe Be- folgung des Gesetzes verhindert wurde; sonst war ihnen die Politik ausserordentlich gleichgiltig* Aus religiösen Motiven allein hat zweimal die pharisäische Partei dem Herodes den Eid der Treue verweigert» Sic waren eine ecclesiola in ecclesia, sie nannten sich hebräisch Peruschim, aramäisch Perischin, woraus das griechische Pharisaioi entstanden ist; das bedeutet die Abgesonderten; abgesondert von aller Unreinheit, d. h. von allen Nicht- juden, von den unreinen Heiden, aber auch von allen jenen, welche die Reinheitsgesetze nicht pünktlich beobach- teten, d* h» vom jüdischen Volke des Landes (Am haarez), ein Wort, das Judenfeinde häufig rundweg mit Christen (!) übersetzt haben. Sie fallen mit dem Begriffe Chasidim der Makkabäer zusammen. Die Makkabäer waren solche Chassidim (Fromme)» Ihre Nachfolger blieben jedoch der Partei nicht immer treu, denn als Herrscher hatten sie die Aufgabe, zu regieren und gerade das schien ihnen nach pharisäischem System unmöglich» So kam es unter Hyrkan zum Bruch» Anfangs hatte er noch zu den Pharisäern gehalten, später wandte er sich den Saddu- cäern zu; so wurden die Pharisäer Gegner der hasmo- näischen Fürsten, behielten aber doch das Volk auf ihrer Seite» Sie erfreuten sich eines bedeutenden Einflusses auf alle Gemeinden, so dass alle gottesdienstlichen Handlungen sich nach ihren Anordnungen richten mussten»
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Dadurch waren aber auch die Sadducäer gfezwungfen, in ihrer amtlichen Thätigkeit die "Wünsche der Pharisäer zu berücksichtigen, da diese sonst das Volk gegen sie aufgehetzt haben würden.
Die Sadducäer stellten die Aristokratie, die Aufge- klärten und die Wohlhabenden vor. Ihnen gehörten die hohenpriesterlichen Familien an, sowie die vornehmen Priester; sie leiteten ihre Abstammung von Zadok ab, dessen Nachkommen seit Salomon den priesterlichen Dienst in Jerusalem versahen. Die Sadducäer leugneten die Unsterblichkeit, sie hielten nur die heilige Schrift für verbindlich, nicht aber die Tradition, widersprachen so- mit der pharisäischen Lehre. Sie hatten auch verschie- dene Bestimmungen hinsichtlich rein und unrein und verspotteten ihre Gegner wegen ihrer Auslegung des Reinheitsgesetzes. Die Pharisäer replicirten, indem sie jede Sadducäerin, wenn sie die Wege ihrer Väter wandelt, für unrein erklärten. Die Sadducäer leugneten auch die Existenz von Engeln und Geistern und behaupteten, dass Gott die Thaten der Menschen nicht beeinflusse. So standen die Sadducäer auf dem altisraelitischen Glaubens- standpunkte, der keine Auferstehung und Vergeltung im Jenseits kannte, sowie keine Engel und Dämonen im Sinne der späteren jüdischen Religion. Dazu kam noch eine weltliche, praktische Gesinnung, ja bei den Ge- bildeten wohl auch etwas Aufklärung, was begreif- lich ist, wenn man bedenkt, dass sie die Politik leiten mussten. Die unausbleibliche Folge davon war grie- chische Bildung, somit wieder Aufklärung und Ab- schwächung des Glaubens. Nur unter Alexandra nahmen ihnen die Pharisäer das politische Heft aus den Händen. Im grossen Ganzen accomodirten sie sich
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aber, um das Volk nicht zu tcizctif den Wünschen der Pharisäer»
Aus dem Gesagten geht hervor t dass der Gegen- satz zwischen Pharisäern und Sadducäern nur in einer verschiedenen Religionsauffassung bestand» Der Sadducäismus ist nach dem Sturze des römischen Reiches ganz von der Bildfläche verschwunden. Der Pharisäismus lebt noch heute im Talmudismus und Rabbinismus weiter» Wir sehen auch hier wieder den Triumph der Orthodoxie gegen den Liberalismus» Ganz dasselbe geschah später im Islam» Die Aufklärung im Islam unterlag vollständig in ihrem Kampfe gegen die Orthodoxie und in allen islamitischen Ländern gilt heute der Satz: tfDie Offenbarung steht höher, als die Vernunft^^ Bravo, nur so weiter! Bekanntlich hat die Synagoge von Montpellier den Bann ausgesprochen im Jahre 1232 gegen alle Juden, welche die Werke des grössten und gelehrtesten Rabbinen Mai- monides lesen würden, und vier Jahrhundertc später ist auch der grosse Jude Spinoza von der Synagoge in den Bann gethan worden» Nicht besser ist es den arabischen Philosophen in den Ländern des Islams ergangen» Arme Aufklärung! arme Philosophie! Du darfst nicht offen auftreten, sonst hetzt dich gleich eine Meute zu Tode! Du bist nur das Erbtheil einer kleinen Minorität von Menschen, die dich aber um so mehr lieben, je mehr du verfolgt wirst! Doch getrost, schliesslich wirst du siegen, aber wann? das weiss Gott allein»
Eine dritte grosse jüdische Partei waren die Essener; selbstverständlich ebenfalls eine religiöse Gemeinschaft»
Das Judenthum zur Zeit Christi war bereits fast in allen Ländern der damals bekannten Welt zerstreut und
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zvrsLt hat diese Zerstreuung: begonnen mit der Deportation grosser jüdischer Volksmassen durch die assyrischen und babylonischen Eroberer. Schon um J40 v. Chr. sagt die Sybille^ dass jegliches Land und jegliches Meer von Juden erfüllt ist. Um dieselbe Zeit erliess der römische Senat ein Rundschreiben zu Gunsten der Juden an die Könige von Aegypten, Syrien, Pergamum, Kappadocien und viele Provinzen, Städte und Inseln des Mittelmeeres* 85 v. Chr. sagt Strabo, dass die Juden bereits in jede Stadt gekommen waren, dass es keinen Ort der Welt gibt, der dieses Volk nicht aufgenommen hätte. Aehnliches sagen Josephus und Philo. In Mesopotamien, Medien und Babylonien zählten sie, wie Schürer, die grösste Autori- tät über das Judenthum zur Zeit Christi sagt, nicht nach Tausenden, sondern nach Millionen; namentlich waren sie in ganz Kleinasien und Syrien zerstreut. Philo schätzt die Zahl der aegyptischen Juden auf circa eine Million. In den grossen Städten Griechenlands fand der Apostel Paulus überall Synagogen, in Rom zählte die jüdische Gemeinde nach Tausenden. Julius Caesar war ein grosser Judenfreund; als er starb, weinten und klagten Scharen von Juden Nächte lang an seinem Scheiterhaufen. Zu Nero's Zeit scheint die Kaiserin Poppaea jüdische Pro- selytin geworden zu sein, auch scheint es, dass die Juden Roms in nahen Beziehungen zum Throne gestanden haben. In Gallien und Spanien treffen wir Juden, wenig- stens in der späteren Kaiserzeit. Diese Juden waren eifrige Proselytenmacher und hatten darin bedeutende Erfolge, da schon in der letzten Zeit der Republik in Rom eine grosse Vorliebe für orientalische Culte Mode geworden war. Die jüdische Religion war eine im römischen Staate anerkannte. Die Juden hatten das Recht der eigenen Ver-
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mögfensvefwaltungf und Jurisdiction über ihre Mitglieder. Vom Militärdienst waren sie befreit; warum? Aus einem religiösen Grunde^ da sie am Sabbath keine Waffen tragen und nicht weiter als 2000 Ellen mar- schiren durften. Sie hatten das Privilegium ^ am Sab- bath nicht vor Gericht erscheinen zu müssen. Vorüber- gehend wurden die Juden auch im römischen Reiche verfolgt. Tiberius verbannte im Jahre J9 n. Chr. die ganze Judenschaft aus Rom, weil ein paar Juden einer Proselytin Namens Fulvia grosse Summen Geldes abge- schwindelt hatten, unter dem Vorwande, dieselben seien für den Tempel in Jerusalem bestimmt.
Unter Caligula drohte der gesammten Judenschaft des römischen Reiches die grösste Verfolgung, als die Juden sich weigerten, ihm göttliche Ehren zu erweisen. Zum Glück für die Juden starb Caligula, bevor es zum Aerg- stcn gekommen war. Seit Caligula wurde nie mehr versucht, die Juden zum Kaisercultus zu bewegen, weil die römischen Machthaber begriffen hatten, dass es un- möglich wäre, sie dazu zu zwingen und ein derartiger Versuch nur zwecklose Hinrichtungen zur Folge haben würde.
Schon in der seleucidischen und ptolemäischen Zeit hatten viele Judengemeinden in Syrien und Aegypten das Bürgerrecht erhalten. Julius Caesar bestätigte es ihnen ausdrücklich. Die Folge waren fortwährende Reibungen der Juden mit den NichtJuden und warum? Bios aus religiösen Gründen. Die Juden hatten alle Rechte wie die übrigen Bürger, wollten aber um keinen Preis den mit dem Bürgerrecht als Pflicht verbundenen Cultus der nationalen Götter mitmachen, da sie dies in Folge der Bestimmungen ihrer Thora für ein entsetz-
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liches Verbrechen hielten» Alle anderen von den Römern unterjochten Völker huldigten anstandslos den heidnischen Göttern, und kein Mensch hinderte sie, sich dabei ihren Theil zu denken, wie die Gebildeten der Zeit es j'a auch thaten* Eine Verneigfungf, eine Handvoll Weihrauch vor dem Götterbild, kein Mensch verlangte mehr* Alle Völker des Erdkreises thaten dies anstandslos und machten sicherlich ihre Witze über diesen Aberglauben. Aber die Juden und später auch die Christen sagten: Nein, lieber sterben! Dass das die „Heiden" wegen des darin sich äussernden Mangels an Patriotismus auf das höchste reizen musste, lässt sich denken* Nur dadurch sind die Juden- und Christenhetzen zu erklären* Erleben wir doch heute ganz genau dasselbe in China* Die blutigen Verfolgungen und Kriege der Chinesen gegen die Mohammedaner, die jüngsten grausamen Massacres der Christen dortselbst, haben in gar nichts Anderem ihren Grund, als in der Verweigerung des Compliments vor der uralten Staatsreligion seitens der beiden mono- theistischen Bekenntnisse* Würden Christen und Muslims in Kleinigkeiten nachgegeben, ihren Kratzefuss vor den „Götzen" gemacht, an religiösen Processionen thcilge- nommen, hie und da einen Heller für die Tempel und die Geistlichkeit gespendet und bei Eheschliessungen nicht in schroffer Weise die Bedingung, dass alle Nach- kommen in ihrer, d. h* einer anderen, als der Staats- religion, erzogen werden müssen, gestellt haben, welcher chinesische Mandarin würde sich jemals um die zwei fremden Religionen gekümmert haben? Nicht mehr, als sie sich für den Buddhismus und den Taoismus inter- essiren* Hätten Juden und Christen im römischen Reiche sich tolerant und freundlich wohlwollend gegen die
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kindische römische Staatsreligfion benommen ^ kein Mensch hätte sie in der Ausübungf ihres Cultus gfestört* Sie thaten es nichts sie bluteten und sterben lieber* Und warum? Weil in der Thora steht» dass man nur an einen einzigen Gott glauben und dass »tGötzendienst^^ ein verruchtes Verbrechen ist. Jene Märtyrer nun, die für ihren Glauben, selbst unter Martern, ihr Leben lassen, sind sicherlich nicht zu bedauern, denn sie starben mit Begfeisterung, im Vorgefühl unendlicher, unmittelbar bevorstehender Seligkeit. Die schwerste Stunde des menschlichen Lebens, ihre Todesstunde, wird ihnen ver- klärt; es ist möglich, ja wahrscheinlich, dass sie sich in einem Zustande der Extase befinden, in welchem physischer Schmerz überhaupt nicht empfunden wird. Diese Per- sonen sind nicht zu bedauern, sondern im Gegentheil zu beneiden. Aber was ist von jenen zu halten, die lau im Glauben, gar kein Verlangen haben nach der Palme der Märtyrer, die unter dem Motto: „Mitgefangen, mit ge- hangen' zur Schlachtbank geführt werden, die nicht mehr apostasiren können, weil die Richter oder Henker ihnen die Zeit und Gelegenheit dazu nicht mehr geben; was ist zu halten vom Schmerze der unglücklichen Eltern und Verwandten dieser Märtyrer, wenn sie selbst „Un- gläubige" und „Götzendiener" geblieben sind? Welche furchtbaren Leiden, welch ein Kummer, welch ein Schmerz! Und wer sind jene, die solche Situationen heraufbe- schworen haben? Wer hat eine Situation geschaffen, durch welche solche Massacres möglich geworden sind? Jüdische Theologen, die vor mehr als 25 Jahrhunderten
die Feder geschwungen haben
Gerade aus religiösen Gründen, ausschliesslich aus religiösen, ist die Antipathie zu erklären, die den Juden
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von den Völkern des Alterthums immer und überall ent- gegengebracht Würde. Denn ihre religiösen Forderungen standen mit ihren Pflichten als Staatsbürger in grellem Widerspruche. Trotzdem haben Juden im Alterthum wiederholt hervorragende Rollen im Staatsleben gespielt« Unter Ptolemäus VI und dessen Gattin Cleopatra standen sie an der Spitze der Regierung und die aegyptische Heeres- macht wurde von zwei Juden befehligt, Onias und Dosi- theus. Der jüdische Convertit Tiberius Alexander hat sogar im römischen Heere die höchste Stellung einge- nommen.
Aber im Allgemeinen waren sie den Griechen und Römern, wie gesagt, ausserordentlich antipathisch. In den hellenistischen Städten wurden sie mit Missgunst behandelt*
Schopenhauer spricht an zwei Stellen seiner Parerga die Vermuthung aus, dass die Verachtung der antiken Völker für die Juden dem Umstände zuzuschreiben ist, dass die Judenreligion, weil sie keine Unsterblichkeits- lehre kannte, den „Heiden** als eine inferiore Religion vorgekommen ist. Also selbst der grosse Schopenhauer hält den antiken Antisemitismus für einen religiösen. Das ist wichtig, weil die Antisemiten gerne den Schopen- hauer als Autorität dafür anführen, dass der Antisemi- tismus mit der Religion nichts zu schaffen habe. Ich ersuche aber die geehrten Gegner, den Schopenhauer wirklich zu lesen. Da werden sie entdecken, dass er die Juden fast nur ihrer Religion wegen bekämpft. Er sagt zwar, dass es ein Irrthum ist, wenn man die Juden blos als Religionssecte betrachtet und dass die richtige Bezeichnung jüdische Nation ist, was auch zutrifft, wenn man dabei nicht vergisst, dass es die jüdische Religion
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war, die die Juden zu einet Nation gemacht hat. Zu bedenken ist auch, dass zur Zeit, als Schopenhauer schrieb, die grossen Forschungen auf dem Gebiete der Bibelexegese (Wellhausen, Reuss etc.) noch nicht gemacht waren; auch hatten die Schädelmessungen der Anthro- pologen noch nicht erwiesen, dass es keine jüdische Rasse gibt. Die schweren Vorwürfe, die Schopenhauer der Judenreligion macht wegen religiösen Massacres, schonungs- losem Morden und Ausrotten ganzer Völker, der Schurkerei gegen Hemor und sein Volk, des sich Schenkenlassens der Nachbarländer durch den Nationalgott, der Geschichte der Vertreibung der Hagar etc., hätte Schopenhauer nicht dem Judenthum als solchem gemacht, hätte er damals, als er schrieb, schon wissen können, dass diese Geschichten Jahrhunderte später zu didactischen Zwecken geschrieben worden sind und nie stattgefunden haben, wie die freie Wissenschaft behauptet.
Die Eroberung Jerusalems durch Pompejus führte wieder zu einem furchtbaren Blutbad, wobei der Um- stand merkwürdig ist, dass die jüdischen Priester, welche gerade mit dem Opfern beschäftigt waren, sich durch das Eindringen der römischen Soldaten nicht im Ge- ringsten stören liessen und mitten in Ausübung ihres Berufes niedergestochen wurden. Hiermit hatte die Frei- heit des jüdischen Volkes, die ungefähr 80 Jahre be- standen hatte, ein Ende. Palästina kam unter die Ober- aufsicht des römischen Statthalters von Syrien, wurde jedoch nach einigen Jahren davon getrennt und erhielt eigene Prokuratoren.
Im Jahre 47 wurde Hyrkan zum Ethnarchen der Juden und Antipater zum Prokurator von Judaea er- nannt und zwar in Folge der Verfügung Julius Caesars,
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welcher den Juden im Jahre 45 durch einen Senats- beschluss mehrere Privilegfien verlieh. Im Jahre 40 er- folgte der Einfall der Parther in Jerusalem, welches sie trotz ihrer Freundschaft mit Antigonus, des Sohnes des Aristobulus, dessen Anspruch auf den Thron Julius Caesar ignorirt hatte, gründlich plünderten. Antigonus war König und Hoherpriester durch die Gnade der Parther. Derselbe liess dem Hyrkan, um ihn für den Hohenpriesterdienst untauglich zu machen, die Ohren abschneiden. Doch diese Herrlichkeit dauerte nicht lange.
Mittlerweile war Herodes der Grosse auf den Schau- platz getreten, und es war ihm gelungen, den Antonius und selbst den Octavian dazu zu veranlassen, ihn in feierlicher Senatssitzung zum König von Judaea erklären zu lassen.
Drei Jahre nach seiner Ernennung gelang es ihm, den "Widerstand des Antigonus, welch Letzterer dann auf Befehl des Antonius hingerichtet wurde, niederzuwerfen. Hiermit hatte die Herrschaft der Hasmonäer ein Ende und das Zeitalter der Herodianer begonnen. Herodes war König von Judaea, jedoch unter der Oberherrschaft der Römer, als Rex socius. Das jüdische Volk hasste ihn fürchterlich, da er als Idumäer nur ein halber Jude war, wegen seiner treuen Freundschaft und Anhänglichkeit gegen Rom und seiner Vorliebe für hellenistische Cultur. Es waren die Pharisäer, welche ihm aus diesen reli- giösen Gründen gleich bei seinem Regierungsantritte die grössten Schwierigkeiten bereiteten. Es gelang Herodes jedoch bald, durch Massenhinrichtungen diese orthodoxe Partei zum Schweigen zu bringen. Concessionen musste er ihnen aber dennoch machen. So liess er seine Münzen
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ohne Menschenbfldnis prägfen^ das eigentliche Tempel- haus nur von Priestern hauen und betrat persönlich nie den inneren Tempelraum. Auf keinem der Gebäude Jerusalems Hess er Bilder anbringen*
Als sich einst im Volke das Gerücht verbreitet hatte^ dass die im Tempel aufgehängten kaiserlichen Sieges- trophäen mit Waffen bekleidete Statuen seien und darob Unruhen im Volke entstanden^ liess Herodes in Gegen- wart der angesehensten Männer diese Trophäen herab- nehmen und entkleiden und zeigte ihnen zu ihrer Be- ruhigung die leeren HoUgerüste. Schliesslich liess er jedoch zum Spotte einen Adler am Tempelthore an- bringen^ was den Hass der Pharisäer^ trotz der vielen ertheilten Concessionen^ wieder aufstachelte. Diese That^ sowie die Begünstigungen^ welche Herodes den helle- nistisch gesinnten Juden erwies und seine Missachtung des Synedriums führten zu einer Verschwörung, die jedoch bald niedergeworfen wurde. Als Herodes erkrankte und sich die Nachricht verbreitete, seine Krankheit sei un- heilbar, wiegelten zwei rechtgläubige Rabbiner das Volk auf, in Befolgung des 2* Gebotes Gottes, den so an- stössigen Adler vom Tempelthore herunterzureissen. Unter ungeheurem Spektakel wurde dieses gottgefällige Werk vollbracht; aber der alte Löwe Herodes war noch nicht ganz todt; er liess die Rädelsführer lebendig ver- brennen! Kaum war er gestorben, und Archelaus r- sein Sohn — Nachfolger geworden, entstand ein A,tjf- ruhr in Jerusalem, da die pharisäische Partei die Hin- richtung der beiden Rabbiner rächen wollte. Die Juden schickten sogar eine Gesandtschaft nach Rom, um zu bitten, dass fortan kein Herodianer mehr die Herrschaft über Palästina erhalte. Kaiser Augustus liess sich dadurch
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jedoch nicht beeinflussen. Herodes der Grosse starb im Jahre 4 v. Chr. und es wurde sein Reich in 3 Gebiete gethcilt. Das eine erhielt Philippus, der bis 4 y. Chr. regierte, das andere Antipas — 4 v. Chr. bis 39 n. Chr., das dritte Archelaus, welcher das eigentliche Judaea bekam, das jedoch schon im Jahre 6 n. Chr. unter die römische Prokuratur kam. Vom Jahre 4 v. Chr. bis 39 n. Chr. regierte Herodes Antipas als Tetrarch von Galiläa und Peräa.
Mit der Regierung über die Juden, hatten die Römer ihre liebe Noth* So entgegenkommend dieselben auch gegen jene waren, die Juden verlangten immer mehr und mehr Concessionen , die jedoch der allgemeinen Ordnung wegen schwer zu ertheilcn waren. In allen Provinzen des römischen Reiches wurde der Kaisercultus von der Bevölkerung gefordert und auch anstandslos geleistet. Nur die Juden waren davon dispensirt (aus- genommen zur Zeit des Kaisers Caligula).
Die im jüdischen Lande hergestellten Kupfermünzen trugen zur Zeit der römischen Herrschaft kein mensch- liches Bild; eine den Juden gemachte Concession, weil sich die Darstellung menschlicher Bilder mit ihrer Religion nicht vertrug. Die römischen Truppen pflegten in Jeru- salem ohne die Feldzeichen mit den kaiserlichen Bildern einzuziehen, ebenfalls aus Rücksicht für die jüdische Re- ligion. Als Pilatus einst diese Sitte abschaffen wollte, drohte ein Aufstand auszubrechen, so dass er sich endlich genöthigt sah, die Kaiserbilder wieder zu entfernen. Pila- tus versuchte Gewalt anzuwenden, liess Haufen von Juden in der Rennbahn, wohin er sie beschieden hatte, nach- dem sie ihn 5 Tage lang mit Klagen bestürmt, von seinen Soldaten umringen, und hoffte mit Gewalt seinen
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Willen durchzusetzen. Die Juden jedoch entblössten ihren Hals und erklärten, lieber sterben zu wollen, als in einen solchen Frevel einzuwilligen» Da Pilatus es nicht auf ein Blutbad ankommen lassen wollte, gab er nach und ent- fernte die Kaiserbilden Ein ähnliches Ereignis trat ein, als er die Schätze des Tempels zum Baue einer nütz- lichen Wasserleitung verwenden wollte, deren Bau Pilatus übrigens trotz ihres Widerstandes durchführte» Ebenso setzte das jüdische Volk durch, dass die Weiheschilde, auf welchen blos der Name und nicht einmal das Bild des Kaisers aufgeschrieben war und welche Pilatus in Jerusalem aufgehängt hatte, entfernt wurden.
Die grosse Judenverfolgung in Alexandrien im Jahre 38 n. Chr. hatte ebenfalls nur religiöse Motive. Als Caligula befohlen hatte, dass seine Statue im Tempel von Jerusalem aufgestellt werden sollte, geriethen die Juden ausser sich und es wäre damals schon zu blutigen Aufständen in Palästina gekommen, wenn nicht der Statthalter von Syrien, Petronius, die Anfertigung der Statue in verständiger Weise verzögert hätte und Cali- gula rechtzeitig gestorben wäre.
Der neue Kaiser Claudius schenkte unmittelbar nach seinem Regierungsantritte dem Herodes Agrippa ausser jenen Gebieten, welche er bereits erhalten hatte, auch noch Judaea und Samaria, so dass ganz Palästina, in dem Umfange, den es unter Herodes dem Grossen gehabt, wieder in der Hand eines Herodianers vereinigt war. Derselbe befolgte die Politik, die einst auch die Alexan- dra's gewesen war, der Partei der Pharisäer nach Thun- lichkeit entgegenzukommen. Er hielt sich streng an die Satzungen des Judenthums, wesswegen ihn auch der Tal- mud über den grünen Klee lobt. Als einst in der phöni-
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zischen Stadt Dora junge Leute eine Bildsäule des Kaisers in der jüdischen Synagfoge aufgestellt hatten^ erwirkte er vom Statthalter von Syrien deren Bestrafung für diesen entsetzlichen Gräuel. Als sich seine Tochter Drusila mit Epiphanes — dem Sohne des Königs Antiochus von Kommagene verlobte — t musste dieser versprechen, sich beschneiden zu lassen* So erlebte denn dieser schlaue Patron den Triumph, dass das Volk ihm, als er im Jahre 4J am Laubhüttenfest aus der Thora die Worte vorlas: „Du sollst keinen Fremdling als König über dich setzen, der nicht dein Bruder ist^* und er bei dieser Gelegenheit in Krokodilsthränen ausbrach, begeistert zurief: „Sei unbekümmert Agrippa, dxs bist unser Bruder»"
Nach Agrippa's Tode kam die Herrschaft der römi- schen Prokuratoren vom Jahre 44 — 66 n» Chr. Schon der erste Prokurator Cuspius Fadus erlebte einen Scandal mit dem Volke, weil er das Verlangen ausgedrückt hatte, dass das hohepriesterliche Prachtgewand wieder unter römischen Verschluss gebracht werde; ferner hatte er den Aufstand, den ein religiöser Schwärmer Namens Theudas, der sich als Prophet ausgab und zum heiligen Krieg gegen Rom aufstachelte, hervorgerufen hatte, niederzuwerfen. Der dritte Prokurator Cumanus hatte wieder einen Auf- stand zu bekämpfen. Weil ein römischer Soldat der Trup- penabtheilung, welche der Sicherheit wegen immer im Tempel vorhof aufgestellt war, — schöne Zustände: gerade wie heute, wo Türken diese Wache halten — beim Passah- feste durch eine unanständige Gebärde die Juden beleidigt hatte. Dieser Scandal soll nach Josephus Angabe 20,000 Menschen das Leben gekostet haben* Zur selbigen Zeit zerriss ein römischer Soldat eine Thorarolle unter Spott- und Hohnreden. Um weiteren Unruhen zu entgehen,
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liess Cumanus auf Drängten der Juden den Soldaten hin- richten* Weitere blutige Unruhen entstanden in Folge der in einem samaritanischen Dorfe erfolgten Ermordung zweier zum Jerusalemer Feste pilgernder galiläischer Juden» Der nächste Procurator war Felix, welcher zum grossen Aergernis der orthodoxen Juden die schöne jüdische Königin Drusila heirathete* Die Erbitterung wurde noch gesteigert, als unter dem nächsten Prokurator Festus die Gleichstellung der Juden und Syrier in Caesaraea aufgehoben und die Hellenen für die Herren der Stadt erklärt wurden.
Agrippa II., welcher ein kleines Königreich am Liba- non, sowie die Aufsicht über den Tempel in Jerusalem und das Recht, die Hohenpriester zu ernennen, erhalten hatte, pflegte, so oft er sich in Jerusalem aufhielt, im Palaste der Hasmonäer zu wohnen und liess sich dort einen kleinen Thurm bauen, von wo aus er den Tempel überblicken und in freien Stunden den Gottesdienst in demselben beobachten konnte* Dies brachte die frommen Priester, die das höchst unanständig fanden, in Wuth und sie errichteten eine hohe Mauer, die ihm die Aus- sicht versperrte. Agrippa wandte sich an seinen Freund, den Procurator Festus um Hilfe, welcher ihm auch bei- stehen wollte. Die Juden sandten jedoch eine Deputa- tion nach Rom zur Kaiserin Poppaea und erreichten durch ihre Vermittelung, dass die Mauer stehen gelassen wurde.
Im Jahre 66 brach die grosse ewig denkwürdige Re- volution aus; natürlich war die Veranlassung wieder eine religiöse. Es hatte nämlich der Procurator Florus dem Tempelschatze J7 Talente entnommen* Es ent- stand ein grosser Tumult wegen dieses Sacrilegiums und um den Procurator zu verhöhnen, sammelten einige Juden
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in kleinen Körbchen öffentlich milde Gaben für den armen Florus.
Kurze Zeit daraof wurde auf Betreiben des Sohnes des Hohenpriester Ananias das tägliche Tempelopfer für den Kaiser eingestellt, wodurch also der offene Abfall von den Römern erklärt war. Das Ende ist bekannt* Jerusalem wurde belagert, der Tempel verbrannt, obwohl Titus alles gethan haben soll, das herrliche Gebäude zu retten. Es ist sehr bemerkenswerth, dass Titus eine Ver- söhnung herbeiführen wollte und zwar aus Liebe zu seiner jüdischen Geliebten Berenicc. Titus wurde erst grausam, als er sah, dass die Juden jedwede friedlichen Verhandlungen abwiesen. Er liess täglich 500 Juden im Angesichte der Stadt unter raffinirtcn Martern kreu- zigen, was die Wuth der Belagerten nur steigerte. Die Hungersnoth, die Verzweiflung, der Wahnsinn wütheten in Jerusalem, das fortan einem Käfig wilder Thiere glich. Hätten sich dieselben rechtzeitig ergeben, so wäre un- endliches "Weh dem Volke erspart geblieben; doch diese Fanatiker wollten von einem Nachgeben nichts wissen, da sie den Tempel für unzerstörbar hielten. Die Mehr- zahl glaubte, die Stadt befinde sich unter einem speciellen Schutze Gottes und es sei daher unmöglich, sie einzu- nehmen. Närrische Propheten liefen umher und ver- kündeten ein unmittelbar bevorstehendes rettendes Wun- der. Das Gottvertrauen der Belagerten war so felsenfest, dass viele, denen die Flucht möglich gewesen wäre, blos deswegen blieben, um das rettende Wunder Gottes zu. schauen.
Es war am 8. August 70, als es den Römern gelang, Feuer an den Thoren des Tempels zu legen. Als die Juden die Flammen sahen, konnten sie anfangs ihren
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Aügcn nicht trauen^ denn in ihrer Verblendung hatten sie geglaobtt der Tempel sei gcgfen Alles gefeit. Ein fürchtbares Wuthgfeschrei^ ein Strom wilder Flüche darch- hallte die Lüfte^ als die Flammen zu züngeln anfingen* Am JO» August fand ein neuer Kampf statt* Eine Troppen- abtheilung war zurückgelassen worden, um zu verhüten, dass neuerdings Feuer gelegt werde, das noch glimmende Feuer zu überwachen und das Weiterverbreiten zu ver- hindern* Auf diese Abtheilung stürzten sich die Juden und es entstand wieder ein fürchterlicher Kampf* Die Juden flohen gegen den Tempelhof, die Römer ihnen nach* Die Wuth der römischen Soldaten hatte ebenfalls den Siedepunkt erreicht; einer von ihnen ergriff eine Fackel, liess sich von einem seiner Kameraden in die Höhe heben und warf dieselbe durch ein Fenster in den Tempel hinein* Flammen und Rauch wurden sichtbar* In diesem Augenblicke schlief Titus unter seinem Zelte, als man ihm die Nachricht brachte, der Tempel brenne* Da entstand, nach dem Berichte Josephus, ein förmlicher Kampf zwischen Titus und seinen Soldaten* Titus be- fiehlt durch Stimme und Gebärde, das Feuer augenblick- lich zu löschen, aber bei diesem Tumulte hörte ihn Niemahd mehr* Er wird mitgerissen durch den Strom seiner Soldaten, die in den Tempel hineindringen* Noch hatten die Flammen das Allerheiligste nicht erreicht und Titus konnte dasselbe noch mit eigenen Augen sehen* Er befiehlt, das Innere zu räumen und dem Centurio Liberalis, einen jeden niederzumachen, der sich seinem Befehle widersetzen würde* Tumultuarisch verlassen die römischen Soldaten den Tempel* Zu spät! Ein römischer Soldat hatte bereits das Innere angezündet; von allen Seiten lodern Flammen empor, in diesem Rauche konnte
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Niemand mehr Stand halten* Titus zog sich zurück* Jerusalem und der heiligfe Tempel waren bald nurmehr rauchende Trümmer! * * * *
Die römischen Soldaten metzelten alles nieder, was in ihre Hände fiel. Im Jahre 7J feierte Titus seinen berühmten Triumph in Rom* Hinter dem "W^agfen des Triumphators wurden die Rollen der Thora getragen, t,der grossen Schuldigen" am ganzen Unheil, wie Renan sich ausdrückt. Sie allein hatte die Juden zu dem ge- macht, was sie geworden waren; sie allein jene Mauer errichtet, die Israel von allen anderen Völkern trennte, sie allein die Abneigung der Griechen und Römer gegen die Juden verschuldet, sie allein die Juden aufgestachelt, der toleranten Regierung, den unbeschnittenen Heiden bei jeder Gelegenheit Prügel vor die Füsse zu werfen* Die Unabhängigkeit der jüdischen Nation war bald dahin. Jerusalem wurde dem Erdboden gleichgemacht, ein bedeutender Theil der Bevölkerung niedergemetzelt und in die Sklaverei geführt. Unter Trajan versuchten die Juden nochmals mehrere Afustände ; der grösste jedoch fand unter Hadrian in den Jahren J32 bis J35 statt* Die Veranlassung war natürlich wiederum eine religiöse. Hadrian hatte an Stelle des zerstörten Je- rusalems eine neue Stadt erbauen lassen, die Aelia Capi- tolina hiess und befohlen, dass an der Stelle, wo der jüdische Tempel gestanden, ein heidnischer Tempel des Jupiter errichtet werde. Auch soll er ein Verbot der Beschneidung erlassen haben. Der Führer des furcht- baren Aufstandes, der in Folge der tiefsten Verletzung des religiösen Gefühles der Juden nun ausbrach, hiess Barcochba. Derselbe gab sich für den erwarteten Messias aus. Da die Christen ihn als solchen nicht anerkennen
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wollten, wüthctc et attf das Grausamste gegfen dieselben» Der Aufstand worde von den Römern unterdrückt, wo- bei ganz Jüdaea zur Wüste gfemacht, 50 Festungen, 985 Dörfer zerstört wurden und über eine halbe Million Juden gefallen sein soll. Ein grosser Theil der Bevölkerung wurde als Sklaven verkauft. Jerusalem wurde nun in eine römische Colonic unter dem Namen Aelia Capito- lina verwandelt, sämmtliche Juden vertrieben und heid- nische Colonisten angesiedelt. Am südlichen Stadtthor wurde das Bild eines Schweines angebracht, an der Stelle, wo der jüdische Tempel gestanden, ein Tempel Jupiters errichtet, in welchem eine Statue Hadrians gestanden haben soll; an der Stelle, wo das Grab Christi gewesen, wurde ein Tempel der Venus errichtet. Jerusalem war eine heidnische Stadt geworden. Zur Zeit der Re- gierung Antoninus Pius versuchten die Juden wieder einen Aufstand in Folge des noch bestehenden Verbotes der Beschneidung. Die Römer hatten nur die Wahl, diesen religiösen Brauch entweder zm gestatten, oder das ganze Volk zu. vernichten. Sie wählten kluger Weise das ersterc, indem sie die Ausübung desselben wieder erlaubten. Die Urtheile der griechischen und römischen Literatur über die Juden sind wie gesagt, sehr absprechend und zeugen von grosser Verachtung gegen dieses Volk. Die Gebildeten erblickten in der jüdischen Religion einen barbarischen Aberglauben. Man verbreitete über die Juden, sowie über ihre Geschichte die lächerlichsten und boshaftesten Fabeln, zum Theil aus Unwissenheit. So erklärte man den Ursprung des Namens Judaei vom Berge Ida in Kreta und behauptete, dass sie von dort herstammen; gewisse Ceremonien beim Laubhüttenfest gaben zu der Vermuthung Anlass, dass sie den Bacchus
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anbeten. Tacitus nennt ihren Cultus absurd und ekel- haft. Die boshaftesten Veriäumdungen stammten aus Alexandrien, wo Manetho über den Auszugf der Juden aus Aegfypten einen förmlichen Roman ^usammeng^c- schrieben hatte* Nach ihm hätte ein aegyptischer König eine Anzahl Aussätziger des Landes verwiesen. An die Spitze derselben stellte sich Moses, ein aegyptischer Priester aus Heliopolist dessen eigentlicher Name Osarsiph war, bewog sie zum Abfall von den aegyptischen Göttern und liess sie eine neue, von ihm erfundene Religion annehmen. Unter seiner Führung hätten sie dann Je- rusalem sammt Umgebung in Besitz genommen. Der Grund, warum die Juden einem Eselskopf die göttliche Ehre erweisen, wird aus der angeblichen Thatsache ab- geleitet, dass eine Herde wilder Esel ihnen in der Wüste den Weg zu Wasserquellen kundgemacht habe. Das Verbot, Schweinefleisch zu essen, sei darin begründet^ dass diese Thiere der Krätze ausgesetzt seien, also gerade jener Krankheit, wegen welcher die Juden aus Aegypten vertrieben worden waren. Die ungesäuerten Brode seien ein Beweis für den von ihnen beim Auszug begangenen Getreidediebstahl; die Feier des Sabbaths ihrer Liebe zum Faulenzen. Es waren ganz besonders vier Dinge, durch welche die Juden die beliebteste Zielscheibe des Spottes der damaligen gebildeten Welt wurden: J. die Be- schneidung, 2. die Strenge ihrer Sabbathfeier, 3. die Enthaltung von Schweinefleisch und 4. die bildlose Gottesverehrung.
Ich möchte meine verehrten antisemitischen Gegner besonders darauf aufmerksam machen, dass diese 4 Punkte ausschliesslich dem Gebiete der Religion angehören und dass sich in der ganzen lateinischen
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und griechischen jttdenfeindlichen Literatur keine Be- schuldigung, kein Witz befindet, der sich auf das Wuchern, auf das Aussagen Andersgläubiger, oder auf unredliche Geldgebahrung bezieht» Dieser Hass und Spott des Alterthums trifft somit Gesetze und Einrichtungen jener Religion, welche auch die Christen und die Mohammedaner bis zur Zeit Christi für die einzig wahre halten»
Was aber die griechisch-römische Welt am heftigsten gegen die Juden aufbrachte, war die strenge Scheidewand, welche diese zwischen sich und der nichtjüdischen Welt errichteten, was sie blos darum thaten, weil ihr Gesetz sie dazu verpfichtete. Die römische Weltmonarchie und die hellenistische Cultur hatten die römische und griechische Welt im hohen Grade nivellirt und die Völker trennenden Schranken niedergerissen. — Nur die Juden allein wollten sich nicht assimiliren und kamen somit in den Verdacht, alle NichtJuden zu hassen» Tacitus beschuldigt sie des Hasses gegen alle Menschen. Juvenal beschuldigt sie, dass sie nur Glaubensgenossen den Weg zeigen und nur Beschnittene zur gesuchten Quelle führen» In Alexandrien wurde geglaubt, dass die Juden einen Eid leisteten, keinem Fremden wohlgesinnt zu sein» Tacitus sagt, dass die jüdischen Proselyten zuerst lernen die Götter verachten, dem Vaterlande absagen, Eltern, Kinder, Geschwister geringschätzen, mit einem Worte, das Hauptgefühl, welches die Juden in der damaligen Welt hervorriefen, war das der tiefsten Verachtung; es war dies folglich ausschliess- lich eine Wirkung ihrer Religion»
Da ist es denn auffallend, dass es möglich war, dass sich diese verachtete Religion im römischen Reiche den- noch so sehr ausgebreitet hat» Der merkwürdige Erfolg
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der jüdischen Propaganda ist darauf zurückzuführen, dass der Glaube an die einheimischen Götter bei den Gebil- deten jener Zeit längst geschwunden, während der starre Monotheismus und der reine Gottesbegriff des Juden- thums vielen Gebildeten sympathisch war. Ferner zielte die jüdische Religion auf ein sittlicheres und frommeres Leben in viel höherem Masse, als die einheimischen Religionen, was jedenfalls anziehend auf die Besten der Zeit gewirkt haben muss. Endlich führte die Mode der Zeit nach der Aufnahme der geheimen Culte des Orients. In Griechenland hatte diese Mode schon im V. Jahr- hundert vor Christus begonnen und seit dem III. Jahr- hundert finden wir die Vorliebe zum phrygischen Culte des Sabazius in Griechenland allgemein verbreitet: In Rom tritt diese Vorliebe schon seit dem 2. Jahrhundert V. Chr. auf, im Jahre 43 v. Chr. war von den Triumviren selbst ein Tempel des Serapis und der Isis erbaut worden. Der persische Cult des Mithras war fast in allen Provinzen des römischen Reiches verbreitet.
Die jüdische Propaganda wurde auch sehr eifrig be- trieben. Christus sagt nach Matthäus Cap. 23, i5 den Pharisäern, dass sie Meer und Festland durchstreichen, um einen einzigen Proselyten zu machen. Von diesen Prosclyten wurde übrigens nicht viel verlangt. Wie wir aus Philo entnehmen, war bei den hellenistischen Juden die Abstammung von Abraham Nebensache, die Reinheit des Gottesbegriffes die Hauptsache. Es gab sogar Heiden, die, obwohl sie der heidnischen Religion treu blieben, dennoch einige Satzungen des Judenthums beobachteten. Nicht einmal die. Beschneidung wurde von allen Proselyten verlangt, das sybilinischc
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Otakel verlangt ausser der Verehrung Gottes, statt der Beschneidungf blos ein Reinigungsbad*
Als König: Izades sich zum. Judenthum bekehren wollte, rieth ihm ein Jude Namens Ananias von der Beschneidung ab, indem er bemerkte, dass er auch ohne Beschneidung Gott dienen und selig werden könne. Die Beschneidung verpflichtete natürlich zur Haltung des ge- sammten jüdischen Gesetzes* So sehen wir, dass sich überall, wo es jüdische Gemeinden in der Diaspora gab, ihnen ein Anhang gottesfürchtiger Heiden anschloss* Dieselben befolgten die jüdische Gottesverehrung, sowie einige wenige Satzungen des Judenthums, waren jedoch nicht beschnitten« Hierdurch unterschieden sie sich von den eigentlichen Proselyten, welche in Folge der Be- schneidung zur Beobachtung des gesammten jüdischen Gesetzes verpflichtet waren.
Hiemit ist, glaube ich, der Beweis geliefert, dass die Juden in ihrem Verhalten zur den Völkern der antiken Welt niemals durch andere Rücksichten geleitet worden sind, als durch religiöse, und dass der Hass und die Abneigung, deren sie sich bei Griechen und Römern erfreuten, ausschliesslich die Folge war ihres ihnen durch ihre Religion gebotenen Verhaltens zu den NichtJuden.
Intoleranz, Fanatismus und dazu die Lehre von ihrer Auserwählung und von einem künftigen Messias, der alle Völker unter das Scepter eines Sprösslings vom Stamme David bringen würde, das ist der Kern der Ge- schichte der Juden seit der babylonischen Gefangenschaft; das sind die Momente, die zum Untergang des jüdischen Staates geführt haben.
Nun höre ich wohl was die Antisemiten darauf ant-
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Worten werden. Sie können entgfegfenhalten» dass eben diese Intoleranz^ dieser Fanatismus^ diese Exclusivität zum Wesen des Judenthums gehört, dass gerade das hier Be- schriebene ein Beweis ist von ihrer Schlechtigkeit und Inf eriorität t dass es gerade diese Dogmen und Lehren, dieses Verhalten zu den Nicht Juden ist, für welches das ganze Volk verantwortlich gemacht werden soll und Ver- abscheuung verdient. Nun, die Antisemiten hätten Recht, wenn es nicht nachweisbar wäre, dass diese Eigenschaften und dieser Grössen wahn, diese stolzen Dogmen mit ihrer Intoleranz von der Auserwählung des Volkes, Straf- barkeit des Irrthums, ausschliesslichen Seligmachung, Mes- sias, erst dem neueren Judenthum und nicht dem Glauben des Israels der vorprophetischen Zeit angehören, dass dic&c Lehren, Sitten, Gebräuche, Ideen und Dogmen dem Volke Israel verhältnismässig spät eingeimpft worden sind. So behauptet nämlich die neueste Bibelkritik.
Israels Gott hat einen Eigennamen Jahwe. Er war anfangs blos der Nationalgott Israels; er ist einer neben anderen Göttern nämlich neben den Göttern der fremden Völker. Der Gegensatz von Gott im alten Israel waren die Götter der Fremden, deren Existenz als Götter voll- kommen anerkannt war und die nicht für Götzen oder Nichtgötter, Nichtigkeiten oder gar Dämonen gehalten wurden. Die Existenz des Kemosch als wirklicher Gott der Moabiter, des Baal als wirklicher Gott der Sydonier, des Baal Zebub als wirklicher Gott Ekrons wurde von Niemandem bezweifelt. Jene Götter haben ihren Völkern ihre Länder gegeben und beschützen sie. Dies war die altisraelitische Auffassung, wie aus dem Buche der Richter n. Capitel erhellt. Der alte Israelite war ein theoretischer Polytheist, der gar nicht daran zweifelte, dass sogar er
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selbst im fremden Lande «nter dem Einfluss dct Götter jenes Landes steht, die dort mehr Einfluss haben, als sein eigener Nationalgfott und daher Verehrung von ihm beanspruchen können* Man vergleiche das 2« Buch der Könige Capitel 3, wo der Autor die Niederlage, welche die Juden im Kriege gegen den Moabiterkönig Mescha erleiden, aus dem Zorn des Landesgottes Kemosch er- klärt. Man vergleiche auch den Vorwurf Davids gegen Saul: „Er zwinge ihn, indem er ihn aus Israel vertreibe, andern Göttern zu dienen** und seine Bitte, „es möge sein Blut nicht fern von Gottes Antlitz zur Erde fallen." Salomon gestattete seiner moabitischen Gattin, ihren Gott Kemosch zu verehren. Elias, der blutdürstige Verfolger der Baal- Religion in Israel, lebte in Sarepta im Hause einer An- hängerin der Baal-Religion und isst von ihren Speisen, und Naman nimmt sich Erde aus dem Lande Israel mit, um in seinem Lande Jahwe dienen zu können. Salomon selbst gestattete seinen zahlreichen heidnischen Frauen nicht blos ihre Nationalgötter zu verehren, sondern nahm in liebenswürdiger Weise sogar an deren Verehrung Theil. In der ganzen langen Zeit der Richter und Könige finden wir sehr wenige Beispiele von eigentlichem Fana- tismus oder Intoleranz. Die grauenhaften Vernichtungen ganzer Völker auf göttlichen Befehl mit dem ausge- sprochenen Zwecke, den Götzendienst zu vernichten, damit Israel nicht davon angesteckt vrctdcf sind Er- zählungen aus viel späterer Zeit und zum Zwecke nieder- geschrieben, um den Juden den Abscheu vor dem Götzen- dienste einzutrichtern. Ueber Israels Cultur in vorpro- phetischer Zeit vergleiche das 7. Buch des J. Bandes der Geschichte des Volkes Israel von Dr. Bernhard Stade.
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Nach dem Gesagten ist es somit unrichtig:^ sich die Juden gleich von Anbeginn ihres Auftretens in der Ge- schichte an als fanatische Zeloten vorzustellen.
Der Antisemitismus hat begonnen^ als die Thora und die Propheten niedergeschrieben waren; er existirte nicht zur Zeit der Richter und Könige. Auch weiss die Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte vor und der ersten Jahr- hunderte n. Chr. von keinem Antisemitismus der Griechen und Römer gegen irgend welche andere» sogenannte se- mitische Völker, d. h. semitische Sprachen redende Nationen, von denen mehrere im römischen Reiche existiren mussten und thatsächlich existirten, was auch sehr begreiflich ist, da alle Völker des römischen Reiches im Hellenismus aufgegangen und in der römischen W^elt- monarchie zerschmolzen waren. Also gab es in der griechischen und römischen Welt überhaupt gar keinen Antisemitismus, sondern nur einen Anti- judaismus, der selbst wieder mit der angeblichen jüdischen Rasse gar nichts, mit der jüdischen Re- ligion dagegen alles zu thun hatte, was sonnen- klar daraus folgt, dass sich die römische und griechische Antipathie gegen die Juden auch auf die nach Tausenden zählenden jüdischen Proselyten nichtjüdischer Abstammung erstreckte. Ich empfehle jenen Antisemiten, welche sich für die Stellung der Juden in der antiken Welt interes- siren, das 374 Seiten starke Werk, welches Theodor Reinach unter dem Titel „Textes d'auteurs grecs et romains relatifs au Judai'sme** in Paris im Jahre J895 veröffentlicht hat, gründlich zu studieren. Dort werden sie alle Texte der römischen und griechischen Schrift- steller, welche sich auf das Judenthum beziehen, zu- sammengestellt finden. Sehr viele sind von gehässiger
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Natur. Die gfeehrten Leser dieses Werkes dürften dann wohl nie mehr versuchen^ die bekannte Behauptung auf- zustellen: ffDic Juden waren den Römern und Griechen efcenso zuwider, wie uns Modernen; ihre Religion war den Römern und Griechen gleichgültig und doch herrschte damals überall ein heftiger Antisemitismus; also ist der Antisemitismus keine religiöse Frage und kann nichts Anderes sein, als eine Rassenf rage." Die gründliche Falschheit dieser Behauptung habe ich in diesem Capitel, wie ich überzeugt bin, zur Evidenz nachgewiesen. Der Trugschluss der obigen antisemitischen Behauptung liegt darin, dass sie irrthümlich voraussetzt, dass zum Ent- stehen des Phänomens des Antisemitismus, wenn er ein« religiöse Frage sein soll, ein religiöses Bewusstsein und da religiöses Empfinden desjenigen nothwendig ist, der antisemitisch afficirt wird. Gct&dc diese Voraussetzung ist aber falsch. Es kann die antisemitische Antipathie auch entstehen blos in Folge von Eigenschaften und Thaten des sogenannten Semiten; und wenn diese Eigen- schaften und Thaten in der Religion desjenigen wurzeln, der die antisemitische Antipathie hervorruft, so ist der Antisemitismus eine religiöse Erscheinung auch dann, wenn jener, der diese Antipathie empfindet, selbst ganz religionslos ist, ja des Ursprunges seiner Antipathie und des Grundes, aus welchem diese entspringt, sich gar nicht einmal bewusst wird. So belehrt uns denn die Ge- schichte des Antisemitismus im Alterthum, dass derselbe durchaus auf Religion beruhte und auf nichts anderem.
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Drittes CapiteL
Geschichte des christlichen Antisemitismus
Wir kommen nun zur Betrachtung des Standpunktes^ den das Christenthum und zunächst die römische Kirche dem Judenthum gfegenüber einnimmt» Ich folge in dieser Darstellung dem Werke des Pater Constant: ,tLes Juifs devant l'Eglise et Thistoire". Pater Constant ist Doctor der Theologie und des canonischen Rechtes und Priester des Predigerordens, jenes Ordens, der sich mit den Juden bekanntlich am eingehendsten befasst hat» Das genannte Werk ist von der kirchlichen Autorität approbirt» Es wird also schwerlich vom katholischen Stand- punkte aus etwas gegen die Benützung dieses Werkes ein- zuwenden sein. Sein Gedankengang ist folgender: „Im alten Rom genossen die Juden viele Freiheiten und Rechte, die jüdische Religion war eine autorisirte Religion im Staate» Ganz anders jedoch erscheint die Sachlage da, wo es sich um Völker handelt, „die vom Lichte des Evangeliums erleuchtet sind"» War der Jude für den römischen Staat harmlos, so ist er eine Gefahr für den christlichen* Nichts im Juden gefährdete den römischen Staat, alles was im Juden steckt, attaquirt direct den christlichen* Der christliche Staat hat vom Juden alles zu befürchten» Kein christlicher Gesetzgeber hat je daran gedacht, den Juden die Bibel zu entreissen» Nur gegen den Talmud ist ein- geschritten worden» Der Dominicaner bedauert, dass die christlichen Machthaber in ihrer Verfolgung des Tal- muds nicht jenen Erfolg gehabt haben, den ihr Eifer verdient hätte! Da der Jude für den christlichen
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Staat eine eminente Gefahr bedeutet, so ist die Kirche und die christliche Regierung: gezwungen, sein Thun und Treiben zu beobachten und zu controlliren. Hiezu dienen zwei Mittel: das Ghetto und das gelbe Judenzeichen an der Kleidung»
Der Dominicaner Ferraris resumirt die päpstlichen Ghetto-Vorschriften in folgender Weise : Alle Juden sollen an ein und demselben Orte wohnen, zu welchem nur ein einziger Zugang, der zugleich der einzige Ausgang sein soll, führen darf» Der Zweck ist, das Zusammen- leben von Juden mit Christen zu verhindern. Jeder neu angekommene Jude musste im Ghetto absteigen und seine Glaubensgenossen waren verpflichtet, ihn aufzunehmen» Der Jude durfte aber kein Eigenthum an Grund und Boden erwerben, auch nicht an dem Grund, worauf das jüdische Wohnhaus stand. Jeder Besitz von Grund und Boden gab im Mittelalter gewisse sociale Rechte von Ueber- und Unterordnung. Nun wollte aber die Kirche durch Ausschliessung der Juden vom Grundbesitz ver- hindern, dass ein Christ in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Juden gerathe. Im Ghetto war der Jude frei, er konnte Tags über ausgehen, nur musste er Abends zur Zeit des Ave-Maria-Läutens wieder im Ghetto zurück sein. Ein christlicher Portier öffnete und schloss die Thore